Zur Verhaftung des Journalisten Ahmet Altan und zur Absetzung gewählter Bürgermeister durch die türkische Regierung erklärt Claudia Roth MdB:
Seit
Wochen ist die Bundesregierung darum bemüht, das deutsch-türkische
Verhältnis zu beruhigen – um jeden Preis. Es ist der falsche Ansatz,
Zusagen bei der Flüchtlingsabwehr oder Besuchsrechte in Incirlik damit
erkaufen zu wollen, dass über Menschenrechtsverletzungen einfach
geschwiegen wird. Zehntausende Staatsbeamte und Angehörige des Militärs
wurden bereits entlassen. Am Wochenende folgten die ersten gewählten
Volksvertreter, als Ankara mehr als zwanzig Bürgermeister in den
mehrheitlich kurdischen Gebieten absetzte und durch regierungstreue
Verwalter ersetzte. Und als Dilek Dündar, Frau des ehemaligen
Chefredakteurs der „Cumhuriyet“, zu dessen Buchvorstellung nach Berlin
reisen wollte, wurde ihr die Ausreise verweigert.
Die
Bundesregierung erweist den deutsch-türkischen Beziehungen einen
Bärendienst, wenn derartige Eingriffe in die rechtstaatlichen und
demokratischen Strukturen totgeschwiegen werden. Und sie lässt Menschen
wie Ahmet und Mehmet Altan im Stich. Die Festnahme der beiden Brüder am
Wochenende beweist, dass die AKP-Regierung auch in ihrem Angriff auf
unabhängige und kritische Schriftsteller und Akademiker nicht locker
lassen wird. Die Verfolgung, Verhaftung und Unterdrückung von
„Systemkritikern“ in der Türkei läuft immer noch im Windschatten der
Maßnahmen gegen den gescheiterten Putsch. Es ist eine Verhöhnung und
Beleidigung der menschlichen Intelligenz, die Entlassung von 11.000
Lehrern in den kurdischen Gebieten mit dem Putsch in Verbindung zu
bringen, ebenso wie die schöpferischen und publizistischen Aktivitäten
von international namhaften Schriftstellern.
Auch
die kritische Autorin Asli Erdogan sitzt seit August hinter Gittern.
Ihr wird vorgeworfen, Mitglied einer terroristischen Organisation zu
sein und die „nationale Einheit“ untergraben zu haben. Dass eine
besonnene Stimme wie Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk nun im
Gegenzug vor einem „Terrorregime“ in der Türkei warnt, in dem die
„Gedankenfreiheit nicht mehr existiert“, sollte auch bei der
Bundesregierung die Alarmglocken läuten lassen. Mit ihrem Schweigen über
die katastrophale Menschenrechtslage lässt sie tausende Türkinnen und
Türken just in dem Moment allein, da sie unsere Unterstützung am
dringlichsten benötigen. Das Verhältnis zu Präsident Erdogan und seiner
Regierung mag dadurch einfacher werden. Das Ansehen Deutschlands in der
zivilgesellschaftlichen, der pro-demokratischen, der europäischen Türkei
hingegen wird jedoch dauerhaften Schaden nehmen.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
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