5. September 2016

Neue Studie zur Halbzeit des Atomausstiegs: Versorgungssicherheit trotz AKW-Abschaltungen stabiler denn je - fossile Reserveleistung ersetzbar


Hamburg (ots) - Die Stabilität der deutschen Stromversorgung hat sich trotz des Atomausstiegs verbessert. Das ist das Ergebnis einer Kurzstudie des Analyseinstituts Energy Brainpool im Auftrag des Ökoenergieanbieters Greenpeace Energy. Obwohl in der ersten Halbzeit des 2011 begonnenen und auf elf Jahre angelegten Atomausstiegs bislang neun Reaktoren mit einer Leistung von rund zehn Gigawatt weitgehend durch wetterabhängige erneuerbare Energien ersetzt wurden, ist die Stromversorgung deutlich seltener ausgefallen. Zudem mussten die Netzbetreiber seit 2011 weit seltener Ungleichgewichte mit so genannter "Regelleistung" ausgleichen. Energy Brainpool führt dies auf eine bessere nationale und internationale Zusammenarbeit der Übertragungsnetzbetreiber sowie auf eine Stärkung des kurzfristigen Stromhandels zurück.

"Die gebetsmühlenartig wiederholte Behauptung der europäischen AKW-Lobby, die Atomkraft garantiere eine besonders stabile Stromversorgung, ist falsch", sagt Sönke Tangermann, Vorstand bei Greenpeace Energy. Derzeit planen zahlreiche europäische Staaten den Bau von Atomkraftwerken. Großbritannien will im Herbst endgültig über den Bau des AKWs Hinkley Point C entscheiden, Ungarn plant am Standort Paks einen Reaktorbau mit russischer Beteiligung.

Für die Bewertung der Versorgungssicherheit hat Energy Brainpool mehrere Faktoren betrachtet: Laut dem von der Bundesnetzagentur jährlich erhobenen Index - dem so genannten SAIDI - summierte sich die durchschnittliche Versorgungsunterbrechung hierzulande im Jahr 2014 auf rund zwölf Minuten - deutlich kürzer als vor dem Atomausstieg: 2010 fiel der Strom noch knapp 15, im Jahr 2006 sogar mehr als 21 Minuten aus. "Ein hoher Anteil konventioneller Erzeugungsleistung - etwa aus Kernkraft - garantiert kein hohes Niveau an Versorgungssicherheit", so das Fazit von Studienleiter Thorsten Lenck.

Auch im internationalen Vergleich mit klassischen Atomländern schneidet Deutschland mit seinem relativ hohen Anteil erneuerbaren Stroms gut ab: Frankreich (81 Prozent Atom) und Ungarn (36 Prozent) kamen 2013 auf Ausfallzeiten von jeweils rund 68 Minuten. In Großbritannien (19 Prozent) fiel der Strom im Schnitt für immerhin 55 Minuten aus.

Im Jahr 2011 hatte die deutsche Bundesregierung den Atomausstieg beschlossen. Die seitdem abgeschalteten AKWs deckten mehr als zehn Prozent der Spitzenlast in Deutschland ab. Parallel dazu stieg der Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch von damals 20 auf inzwischen deutlich über 30 Prozent.

Die aktuelle Untersuchung zeigt zudem, dass sich klimaschädliche Kohlekraftwerke als Reserve für abgeschaltete AKWs schrittweise ersetzen lassen: "Bereits 2020 kann eine effiziente Steuerung bei Biomasseanlagen, Haushalten und Industrieanlagen die Spitzennachfrage um bis zu 4,4 Gigawatt reduzieren", so Lenck. Entsprechend seltener müssten dann fossile Kraftwerke die so genannte "gesicherte Leistung" bereitstellen. Eine weitere Schlüsselrolle zur Absicherung der Stromnachfrage könnten laut Energy Brainpool künftig Speichertechnologien wie Windgas (Power-to-Gas) übernehmen. Windgas nutzt überschüssigen Ökostrom, um Wasserstoff herzustellen, der im Gasnetz gespeichert, verbraucht oder in Gaskraftwerken wieder verstromt werden kann - die Technologie eignet sich damit auch, um Stromüberschüsse im Netz kostengünstiger abzufedern.

"Die Politik muss dringend dafür sorgen, dass eine flexible und dezentrale Technologie wie Windgas künftig nicht nur mithilft, Atomstrom zu ersetzen, sondern mittelfristig auch fossile Reserven verzichtbar machen kann", sagt Sönke Tangermann. Dies könne sogar die Versorgungssicherheit weiter stärken. Denn, so ein weiteres Fazit der Kurzstudie: "Während die Schwankungen bei wetterabhängigen erneuerbaren Energien in der Regel gut ausgeglichen werden, können bestimmte Wetterereignisse bei konventionellen Kraftwerken die Versorgungssituation verschärfen."

So mussten in den besonders heißen Sommern 2006 und 2007 mehrere deutsche Kohlekraftwerke gedrosselt oder gänzlich abgeschaltet werden, damit die Flusstemperaturen durch das Kühlwasser nicht über die zulässigen Grenzwerte anstiegen. Und niedrige Pegelstände von Flüssen führten bei Kohlekraftwerken im Dezember 2015 zu Versorgungsengpässen, weil die Meiler nicht mehr per Schiff mit Kohle beliefert werden konnten.

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