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30. Mai 2017
Abschiebungen nach Afghanistan stoppen – Schwerwiegende Mängel bei Asylverfahren gefährden Menschenleben
Amnesty International, die Arbeiterwohlfahrt, Arbeitsgemeinschaft Migrationsrecht im Deutschen Anwaltverein, Der Paritätische Gesamtverband, Diakonie Deutschland, Jesuiten-Flüchtlingsdienst, Neue Richtervereinigung e. V., PRO ASYL und Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e. V. kritisieren die Entscheidungspraxis des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge bei afghanischen Asylsuchenden
BERLIN, 30.05.2017 – Anlässlich eines weiteren für den 31. Mai zu erwartenden Abschiebungsflugs nach Afghanistan fordern Menschenrechtsorganisationen und Verbände einen sofortigen Stopp aller Abschiebungen nach Afghanistan. Wegen schwerwiegender Mängel bei Asylverfahren von afghanischen Asylsuchenden befürchten die Organisationen, dass nach fehlerhaften Asylverfahren abgelehnte Afghanen demnächst abgeschoben werden und dadurch ihr Leben aufs Spiel gesetzt wird.
Bisher wurde in diesem Jahr rund die Hälfte aller Asylanträge von Afghanen abgelehnt, während die bereinigte Schutzquote im Jahr 2016 noch 60 Prozent und 2015 sogar 78 Prozent betrug. Dabei fällt den Organisationen bei der Prüfung von ablehnenden Bescheiden auf, dass neue Informationen zur gefährlichen Lage in Afghanistan nicht berücksichtigt werden, unter anderem jene, die das UN-Flüchtlingswerk zur Verfügung stellt. Dies ist aber sowohl rechtlich verpflichtend als auch unerlässlich angesichts der sich stetig verschlechternden Sicherheitslage in Afghanistan.
Auch wird in den Bescheiden immer wieder auf das Bestehen einer inländischen Fluchtalternative verwiesen. Tatsächlich hat sich jedoch der bewaffnete Konflikt mittlerweile über die ursprünglichen Kampfgebiete hinaus ausgeweitet – Menschen können überall Opfer von Kampfhandlungen, Anschlägen und Verfolgung werden. Dies ist während der derzeit stattfindenden Frühjahrsoffensive der Taliban deutlich zu beobachten. Die Sicherheitslage in Afghanistan ist so unberechenbar, dass auch der UNHCR eine Unterscheidung von "sicheren" und "unsicheren" Gebieten ablehnt. Wegen des bewaffneten Konflikts hat sich die Zahl der Binnenvertriebenen in den vergangenen drei Jahren fast verdoppelt und liegt bei 1,4 Millionen. Seit Anfang des Jahres mussten erneut mehr als 90.000 Menschen ihre Häuser verlassen (Stand 6.5.2017).
Auch die NATO plant, den Militäreinsatz aufgrund der verschlechterten Sicherheitslage wieder deutlich zu verstärken. Weder staatliche noch internationale Akteure sind in der Lage, sich selbst oder abgeschobene Flüchtlinge zu schützen. In Kabul kommt es beispielsweise regelmäßig zu Anschlägen auf Zivilisten, die viele Menschenleben fordern – dass die Bundesregierung die Stadt trotzdem als sicher genug einstuft, um monatlich mehrere Afghanen dorthin abzuschieben, halten die Organisationen für zynisch.
Der Fall des Bundeswehr-Offiziers Franco A. hat ein Schlaglicht auf verschiedene Probleme beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) geworfen, insbesondere die mangelhafte Durchführung der Asylverfahren, die unzureichende Ausbildung des Personals, die Trennung von Anhörer und Entscheider sowie die unzureichende interne Qualitätskontrolle. Als Konsequenz reicht es aber nicht, die positiv beschiedenen Fälle der im Fall des Franco A. Verantwortlichen zu prüfen. Stattdessen müssen sofort die Qualitätsüberprüfung im Bundesamt aufgestockt und besser aufgestellt werden sowie die bekannten Mängel im Asylverfahren behoben werden. Das BAMF muss so organisiert sein, dass eine lückenlose Kontrolle der Entscheidungen im Hause selbst vor der Zustellung an Asylantragsteller die Regel ist.
Die Organisationen befürchten, dass durch mangelhaft durchgeführte Anhörungen in der Sache falsche Ablehnungen zustandekommen – was für die Betroffenen dramatische Folgen haben kann, wie schlimmstenfalls die Abschiebung in die Verfolgung. Die Qualität der Asylverfahren darf nicht dem politischen Willen zum Abbau der Altfälle bis zur Bundestagswahl geopfert werden.
Für die schon länger mit einer Duldung in Deutschland lebenden Afghanen hat sich die Situation durch die letzten Gesetzesänderungen, wie dem Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht, verschärft, indem diese Abschiebungen erleichtern. Hier gilt es dringend zu prüfen, ob die vor mehreren Jahren abgelehnten Afghanen nicht wegen der sich verschlechterten Sicherheitslage einen Anspruch auf Schutz haben.
Deutschland hat eine völkerrechtliche Verpflichtung, Asylsuchenden ein faires und sorgfältiges Asylverfahren zu bieten und nicht in Länder abzuschieben, in denen den Menschen schwere Menschenrechtsverletzungen drohen. Die Organisationen appellieren deswegen gemeinsam an Bund und Länder, Asylgesuche mit der notwendigen Sorgfalt zu prüfen sowie alle Abschiebungen nach Afghanistan zu stoppen.
Hintergrund: Bereits am 30. November 2016 haben in der Flüchtlingsarbeit tätige Organisationen das "Memorandum für faire und sorgfältige Asylverfahren" veröffentlicht.
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