Zur Aufhebung der Immunität von 238 Abgeordneten im türkischen Parlament erklärt Claudia Roth:
"Wer
sich auf die Suche nach den Resten der türkischen Demokratie macht,
wird seit spätestens heute nichts mehr finden. Ein Parlament als
eigentliches Herz der Demokratie, das sich in seiner übergroßen Mehrheit
selbst entmündigt, ist dafür bitterer Beleg.
Die
Konsequenzen der heutigen Entscheidung sind dramatisch: Die von der
Regierungspartei AKP bereits betriebene Marginalisierung der Opposition
gerät ab heute zum Versuch einer völligen Ausschaltung jeder Kraft, die
sich noch offen gegen den Staatspräsidenten und die Regierung stellt.
Die Partei HDP, die für viele Menschen in der Türkei eine Hoffnung auf
demokratischen Wandel war, wird nun offen kriminalisiert mit dem Ziel,
sie ganz zu verbieten. Und der neu ernannte Premierminister Binali
Yildirim erfüllt dabei die Rolle des gefügigen Untertans seines
allmächtigen Alleinherrschers Erdogan.
All
das zeigt, dass in der Türkei ab sofort von Gewaltenteilung als Prinzip
eines demokratischen Rechtstaates nicht mehr gesprochen werden kann.
Umso deutlicher wird die gefährlich falsche Politik der Europäischen
Union und der deutschen Bundesregierung, die aus Angst vor Menschen in
Not mit dem EU-Türkei-Deal einen Kotau vor Erdogan vollzieht und ihn im
eigenem Land schalten, walten und wüten lässt - gegenüber der
Opposition, der Presse, der Zivilbevölkerung im Südosten und den
Flüchtlingen, die Europa nicht aufnehmen will. Damit wird der
Antidemokratisierungskurs und die Spaltung der türkischen Gesellschaft
von Europa billigend in Kauf genommen.
Den
Preis des lauten Schweigens zahlen nicht nur die Demokraten und
Proeuropäer in der Türkei, die sich von "ihrem" Europa verraten und
verkauft fühlen, sondern auch die Partner der Türkei, deren innen-,
europa- und außenpolitisches Interesse doch eine vertrauenswürdige,
stabile demokratische Türkei sein müsste. Stattdessen sollte Europa
endlich überlegen, wie es jene Kräfte in der Türkei unterstützen kann,
die trotz aller Widerstände unermüdlich weiter für Demokratie,
Rechtsstaat und eine europäische Türkei kämpfen. Wir sollten sie nicht
für die Politik Erdogans bestrafen."
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Deutschen Bundestag
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