(BUP) Landesregierung legt nach 2011 und 2012 dritten Fachbericht zum
Einsatz von Medikamenten in der Tierhaltung vor - 9 von 10 Mast- und
Zuchtdurchgänge bei Puten wurden mit Antibiotika behandelt.
In
der Intensivtierhaltung bleibt der Einsatz von Antibiotika weiter hoch: 9
von 10 Mast- und Zuchtdurchgängen in der Putenhaltung werden in NRW mit
Antibiotika behandelt. Das ist das Ergebnis eines neuen Fachberichtes
der Landesregierung, den das NRW-Verbraucherschutzministerium
vorstellte. „Der massenhafte Einsatz von Antibiotika in der
Intensivtierhaltung ist weiterhin Alltag, obwohl wir in den letzten
Jahren eine große Debatte über den zu hohen Einsatz von Medikamenten
hatten. Wenn 9 von 10 Durchgänge mit Antibiotika behandelt werden,
können wir auch in der Putenmast längst nicht mehr von Ausnahmen
sprechen. Dieses Ausmaß ist nicht zu akzeptieren“, sagte
Verbraucherschutzminister Johannes Remmel bei der Vorstellung des
Berichtes. „Das ist bereits der dritte Fachbericht, der einen
alarmierenden Antibiotika-Einsatz in unseren Ställen dokumentiert. Hier
muss sich dringend etwas ändern und die Branchenverbände wären gut
beraten, schnell und umfassend schon jetzt zu handeln.“ 2011 und 2012
hatten bereits zwei andere Erhebungen des
NRW-Verbraucherschutzministeriums das Ausmaß des Antibiotika-Einsatzes
belegt. „Der routinemäßige Einsatz von Antibiotika in der Tiermast ist
gängige Praxis“, erklärte Dr. Thomas Delschen, der Präsident des
Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV), das im
Auftrag des Verbrauchschutzministeriums auch diesen Fachbericht
erstellte.
Im Auftrag des NRW-Verbraucherschutzministeriums hat
das LANUV im Zeitraum vom 1. Januar bis 30. November 2013 eine Erhebung
in der Putenhaltung durchgeführt. Ziel war es, Erkenntnisse darüber zu
erhalten, wie oft und zu welchen Therapiezwecken antibiotisch wirksame
Substanzen im Mastputenbereich verschrieben und eingesetzt werden.
Darüber hinaus sollten so auch Erkenntnisse über ausgewählte
Tierschutzparameter, wie beispielsweise die Besatzdichte und
Verlustraten gewonnen werden, welche die Behörden bei der Überwachung
von Putenmastbetrieben unterstützen können.
Antibiotikaeinsatz bei 92,8 Prozent der Durchgänge
Im
Rahmen der Erhebung haben 20 Kreisordnungsbehörden für 516 Durchgänge
in Aufzucht- und Mastbetrieben auswertbare Daten erhoben. Von diesen 516
Durchgängen wurden 479 (92,8 Prozent) antibiotisch behandelt, im
Durchschnitt auch mehrmals. Einzelne Durchgänge erhielten in einem
Mastdurchgang sogar bis zu 21 Behandlungen mit Antibiotika. Dabei kamen
bis zu 10 verschiedene Wirkstoffe pro Durchgang zum Einsatz. Darunter
waren auch Präparate, die nicht für die Behandlung von Puten zugelassen
waren. Das LANUV prüft derzeit im Hinblick auf einzelne Ergebnisse in
einigen Fällen die Einleitung weiterer rechtlicher Schritte
Die
Ergebnisse zeigen, dass ähnlich wie bei der Masthähnchen-Studie aus dem
Jahre 2011 antibiotische Behandlungen die Regel und nicht mehr die
Ausnahmen sind. „In deutschen Ställen werden mehr als 11 Millionen
Puten gehalten. Viele von ihnen leiden an Krankheiten, die offenbar mit
gewaltigen Mengen von Antibiotika behandelt werden. In vielen Fällen ist
das das Ergebnis aus Überzüchtung und unzureichenden
Haltungsbedingungen. Das ist ein Systemfehler, doch die Bundesregierung
scheint auf diesem Auge blind zu sein“, sagte Minister Remmel.
NRW
hat in den letzten Jahren maßgeblich dazu beigetragen, dass die
Bundesregierung das Arzneimittelgesetz novelliert hat. Doch der
NRW-Verbraucherschutzminister Johannes Remmel sieht weiter
Handlungsbedarf. Der massive Einsatz von Medikamenten, welche eigentlich
nicht für Puten bestimmt sind, zeigt, wie wichtig eine konsequente
Kontrolle ist. Denn die Umwidmung von Medikamenten ist eigentlich nur in
Ausnahmefällen erlaubt. Es ist deshalb notwendig, dass die Behörden den
Einsatz überwachen und konsequent kontrollieren, ob die Vorschriften
des Arzneimittelgesetzes auch eingehalten werden. Gegebenenfalls müssen
hier die entsprechenden rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft werden,
um den Einsatz von Antibiotika in der Tiermast zu reduzieren.
Die wichtigsten Ergebnisse der Putenstudie:
• Von den betrachteten 516 Durchgängen wurden 479 (92,8 Prozent) antibiotisch behandelt
•
In etwa 86 Prozent der Durchgänge, kam als Mastrasse Big 6 /BUT 6 zum
Einsatz. Die Therapiedichte bei der am häufigsten eingesetzte Mastrasse
Big 6/BUT 6 war im Vergleich mit den Rassen Converter und Big 9
durchschnittlich um 21 Prozent höher.
• Es wurden insgesamt 22
verschiedene Wirkstoffe eingesetzt: mit Abstand am häufigsten der
Wirkstoff Benzylpenicillin, gefolgt von den Wirkstoffen Colistin,
Amoxicillin und Enrofloxacin. Unter den vier am häufigsten eingesetzten
Wirkstoffen befanden sich mit Colistin und Enrofloxacin zwei Wirkstoffe
aus Substanzklassen, die erhebliche Bedeutung für den Menschen haben und
als sogenannte „Reserveantibiotika“ bezeichnet werden. Sie sollten
eigentlich der Humanmedizin vorbehalten sein.
• Bei etwa einem
Drittel der Wirkstoffeinsätze (961 von 2.764) wurde ein nicht in
Deutschland für Puten zugelassenes Präparat verwendet. Das ist nach dem
Arzneimittelgesetz nur in Einzelfällen bei einem Therapienotstand
zulässig.
• In 79 dieser 961 Fälle wurde ein nicht für Puten
zugelassenes Präparat verabreicht, obwohl zum Zeitpunkt der Abgabe ein
zugelassenes Präparat mit demselben Wirkstoff zur Verfügung steht. Ob
hier strafbare Handlungen vorliegen, wird aktuell geprüft.
Für
die Haltung von Mastputen gibt es bislang keine verbindlichen
Vorschriften in der Tierschutz-Nutztierhaltungs-Verordnung
(TierSchNutztV), wie sie beispielsweise für Hühner und Schweine gelten.
Mit den „Bundeseinheitlichen Eckwerten für eine freiwillige Vereinbarung
zur Haltung von Mastputen“ von 1999, die im vergangenen Jahr
aktualisiert wurden, existiert lediglich eine Selbstverpflichtung der
Geflügelbranche. Die Einhaltung dieser Vereinbarung ist jedoch
freiwillig. Die NRW-Landesregierung wird deshalb eine
Bundesratsinitiative einbringen, in der sie die Bundesregierung
auffordert, die Tierschutz-Nutztierhaltungs-Verordnung mit
rechtsverbindlichen Regelungen zur Putenhaltung zu ergänzen. „Um den
Medikamenteneinsatz zu reduzieren, müssen wir an die Ursache ansetzen
und das heißt, wir müssen die Haltungsbedingungen verbessern. Die
Bundesregierung muss aufhören, sich hinter freiwilligen Vereinbarungen
zu verstecken. Wir brauchen endlich verbindliche Mindeststandards für
die Putenhaltung, die auch kontrolliert und eingefordert werden können.
Nur so können wir aus den vorliegenden Ergebnissen die notwendigen
Konsequenzen ziehen“, sagte Remmel. Der Minister kritisierte außerdem,
dass noch immer ein eindeutiges Minimierungsziel zum Medikamenteneinsatz
im entsprechenden Bundesgesetz fehle und forderte die Bundesregierung
mit Blick auf die nunmehr vorliegenden Ergebnisse aus NRW auf, zu
handeln: „Die Novellierung des Arzneimittelgesetzes ist ein wichtiger
Schritt gewesen, aber weitere müssen nun folgen. Die Bundesregierung
muss endlich an die Ursachen des massiven Einsatzes von Antibiotika in
der Tierhaltung ansetzen, an den Haltungsbedingungen. Der teilweise
nicht mehr verhältnismäßige Einsatz dieser Medikamente in der
Massentierhaltung ist insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung von
Resistenzen verantwortungslos. Reserveantibiotika können für Menschen
lebensrettend sein und müssen der Humanmedizin vorbehalten bleiben.“
Zum Hintergrund:
Das
NRW-Verbraucherschutzministerium hat bereits mit zwei Studien belegt,
dass der Einsatz von Antibiotika in der Tiermast inzwischen gängige
Praxis ist, die antibiotikafreie Tiermast hingegen nur noch die
Ausnahme: Im November 2011 wurde durch die NRW-Antibiotikastudie
erstmals in der Bundesrepublik in einer umfassenden Erhebung ermittelt,
dass bei 9 von 10 Masthühner Antibiotika eingesetzt wurden.
Im
Juli 2012 ergab die vertiefende NRW-Verschleppungsstudie, dass
Mastgeflügel in NRW offenbar auch außerhalb von Therapiezeiten und
teilweise ohne tierärztliche Verordnung in Kontakt mit Antibiotika
gekommen ist: In 26 von 42 (rund 62 Prozent) überprüften Ställen wurden
auffällige Rückstände antibiotisch wirksamer Substanzen in Tränkwasser
ermittelt.
Hrsg: Ministerium für Klimaschutz, Umwelt,
Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes
Nordrhein-Westfalen - Pressereferat Schwannstraße 3, 40476 Düsseldorf
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