Bayerischer Verwaltungsgerichtshof lehnt Beschwerde der Bayerischen Staatsregierung im
Zwangsvollstreckungsverfahren der Deutschen Umwelthilfe gegen die
Bayerische Staatsregierung ab – Gerichtshof kündigt an, Zwangshaft gegen
Ministerpräsident und andere Politiker durch Europäischen Gerichtshof
klären zu lassen – Beschluss des Bayerischen
Verwaltungsgerichtshof ist Offenbarungseid für den deutschen
Rechtsstaat – Kanzlerin Merkel ist aufgefordert, sich für den
Rechtsstaat einzusetzen
Berlin, 27.8.2018: Das Verfahren der Deutschen
Umwelthilfe (DUH) für saubere Luft in München gegen die Bayerische
Staatsregierung steht vor einer entscheidenden Weichenstellung. Die
Bayerische Staatsregierung weigert sich, ein bereits
seit 2014 rechtskräftiges Urteil umzusetzen und alle Maßnahmen zu
verabschieden, die zu einer schnellstmöglichen Einhaltung der Grenzwerte
für Stickstoffdioxid führen. Um dies durchzusetzen, hatte der
Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) bereits vor
eineinhalb Jahren durch Beschluss vom 27. Februar 2017 entschieden,
dass die Staatsregierung Diesel-Fahrverbote vorbereiten und im
Luftreinhalteplan zu veröffentlichen hat. Nach dem Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Februar 2018 sind diese Fahrverbote
rechtmäßig und zur Einhaltung der Grenzwerte in München zwingend.
Da mittlerweile bereits zwei verhängte Zwangsgelder
nicht dazu führten, dass die Staatsregierung ihrer höchstrichterlich
bestätigten Verpflichtung nachkommt, hat der BayVGH nunmehr in einem am
24. August 2018 bei der DUH eingegangenen Schreiben
vom 17. August 2018 bestätigt, dass offenkundig nur noch das Mittel der
Erzwingungshaft zur Verfügung steht,
„da sich das rechtkräftig verurteilte Bundesland sowohl gegenüber den
Gerichten als auch öffentlich - und dies u.a. durch seinen ranghöchsten
politischen Mandatsträger … - dahingehend festgelegt hat, dass es die
rechtskräftige, zu vollstreckende gerichtliche
Entscheidung nicht befolgen wird“ (BayVGH).
Der BayVGH teilt weiter mit, dass die dazu nötigen
rechtlichen Voraussetzungen zur Verhängung von Zwangshaft gegenüber
Mandatsträgern im deutschen Recht möglicherweise nicht vollständig zur
Verfügung stehen. Die Notwendigkeit der Zwangshaft
könne sich aber aus dem Europarecht ergeben. Aus diesem Grund kündigt
der BayVGH an, die Frage dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Klärung
vorzulegen.
Wenn die Staatsregierung ihre Haltung nicht unverzüglich ändert, folgt daraus für den weiteren Verfahrensverlauf Folgendes:
Nach Ablauf der den Prozessbeteiligten gesetzten
Stellungnahmefrist (28. September 2018) wird der BayVGH den EuGH
voraussichtlich im Oktober dieses Jahres um Beantwortung der Frage
bitten, ob das Gericht Zwangshaft gegenüber Amtsträgern eines
deutschen Bundeslandes anordnen kann und muss. Der BayVGH wird deutlich
machen, dass die Bayerische Staatsregierung rechtskräftige
vollstreckbare gerichtliche Entscheidungen trotz mehrfacher
Zwangsgeldfestsetzungen nicht befolgt; dies ist durch den
Ministerpräsidenten
Markus Söder so öffentlich verkündet worden.
Die DUH wird beantragen, ein beschleunigtes
Eilverfahren beim EuGH durchzuführen. Dies ist dann zulässig, wenn es,
wie hier, um Rechtsstaatsfragen geht. Kommt es zu einem Eilverfahren,
ist mit einer Entscheidung des EuGH innerhalb von circa
drei Monaten zu rechnen.
Die DUH rechnet fest damit, dass der Europäische
Gerichtshof (EuGH) die Zulässigkeit der Zwangshaft als letztes Mittel
zur Durchsetzung gerichtlicher Entscheidungen bei Verstößen gegen
Europarecht bestätigen wird. Bereits im Jahr 2014 hat
der EuGH in einem Verfahren zur Luftreinhaltung in Großbritannien
entschieden, dass die Gerichte ‚jede erdenkliche Maßnahme‘ ergreifen
müssen, um die Einhaltung der Grenzwerte für das Dieselabgasgift
Stickstoffdioxid durchzusetzen.
Nach einer Bestätigung der Zulässigkeit der
Zwangshaft durch den EuGH wird der BayVGH über diejenigen Personen
entscheiden, gegen die Haft angeordnet wird. Nach dem Schreiben des
BayVGH hat er dabei aktuell folgende Personen kumulativ im
Blick:
a.
Ministerpräsident des Freistaats Bayern,
b.
Staatsminister für Umwelt und Verbraucherschutz,
c.
Amtschef des Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz,
d.
Regierungspräsident der Regierung von Oberbayern,
e.
Regierungsvizepräsident der Regierung von Oberbayern,
f.
Leiterin der Abteilung 7 des Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz,
g.
Leiter des Bereichs 5 der Regierung von Oberbayern,
h.
ggf. die zuständigen Sachgebietsleiter des Staatsministeriums und der Regierung von Oberbayern.
Dazu Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH: „Die
Entscheidung des obersten Bayerischen Gerichts ist ein Paukenschlag für
die Verteidigung von Recht und Gesetz – und für die ‚Saubere Luft’ in
Bayern aber auch in allen übrigen
Bundesländern. Während die Ministerpräsidenten von Bayern,
Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen vor den Dieselkonzernen in die
Knie gehen und durch die Verweigerung von Diesel-Fahrverboten
vorsätzlichen Rechtsbruch begehen, verteidigen unsere Gerichte
die Demokratie. Angesichts der katastrophalen Folgen dieses
rechtswidrigen Verhaltens der Regierungspolitiker in Bund und Ländern -
jährlich 12.860 vorzeitiger Todesfälle und 800.000 Erkrankungen durch
das Dieselabgasgift Stickstoffdioxid – wird der Europäische
Gerichtshof Anfang 2019 mit absoluter Sicherheit die Rechtmäßigkeit der
Zwangshaft gegenüber Ministerpräsidenten, Ministern und Behördenleitern
bestätigen.
Wann wird sich Kanzlerin Merkel endlich des Frontalangriffs
auf die demokratische Grundordnung annehmen? Sie muss sich dem
Würgegriff der Autokonzerne entziehen und die Hardware-Nachrüstung der
11 Millionen Betrugsdiesel beschließen und in den Ländern
sicherstellen, dass die Menschen noch in diesem Winter ‚Saubere Luft‘
atmen können.“
„Die Haft wird kommen, es sei denn
die Staatsregierung lenkt unverzüglich ein. Der EuGH hat bereits im Jahr
2014 bestätigt, dass Gerichte jede erdenkliche Maßnahme ergreifen
müssen, um das EU-Luftreinhalterecht durchzusetzen.
Wenn dazu nur noch Haft taugt, wird sie zu verhängen sein. Wir rechnen
mit einer Entscheidung binnen drei Monaten“,
prognostiziert Rechtsanwalt Remo Klinger, der die DUH in dem Verfahren vertritt. „Ein
Gerichtsbeschluss, mit dem der EuGH damit beschäftigt wird, dass sich
die höchsten politischen Mandatsträger Bayerns nicht an
Gerichtsentscheidungen halten,
ist eine Peinlichkeit ersten Ranges. Wenn Deutschland zukünftig noch
innerhalb der EU Fragen der Rechtsstaatlichkeit diskutieren möchte, muss
dieses Problem gelöst werden. Wer Polen wegen seiner (ungleich
größeren) Rechtsstaatsdefizite kritisiert, kann sich
nicht gleichzeitig beim EuGH dafür rechtfertigen müssen, dass in
Deutschland nur noch die Verhaftung hochrangiger Politiker bleibt, um
Gerichtsentscheidungen durchzusetzen. Jeder durch Deutschland
kritisierte Mitgliedstaat würde auf die Situation in Bayern
verweisen. Bundeskanzlerin Merkel und Bundesinnenminister Seehofer
müssen ihre Macht nutzen, um diese Blamage Deutschlands abzuwenden“,
so Klinger weiter.
Hintergrund:
Die
DUH hat am 21. November 2017 vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht
München einen Antrag auf erneute Verhängung eines Zwangsgelds oder
Zwangshaft, letzteres zu verhängen gegenüber der Umweltministerin
des Freistaats Bayern, gestellt. Grund ist, dass der Freistaat Bayern
seit 2014 ein rechtskräftiges Urteil ignoriert und die notwendigen
Schritte zur Einhaltung der Luftqualitätsgrenzwerte für das
Dieselabgasgift Stickstoffdioxid (NO2), dazu gehört die Vorbereitung
von Diesel-Fahrverboten, nicht einleitet. Der Freistaat verweigert den
Bürgern damit nicht nur das Recht auf saubere Luft, sondern setzt auch
die Gesundheit vieler unter den Dieselabgasen leidenden Menschen aufs
Spiel.
Erst
am 16.1.2018 kam die Bayerische Regierung mit fünf Montagen Verspätung
der Auflage des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs nach und legte eine
Fortschreibung des Luftreinhalteplans für München
vor. Das Konzept ist jedoch wenig konkret und verbindlich, vor allem
wird die inhaltliche Vorgabe des Gerichts, Fahrverbote vorzubereiten,
weiterhin ignoriert. Mit den vorgeschlagenen Maßnahmen, die nicht viel
mehr sind als eine Wiederholung der Vorschläge
vom Juli 2017 ist eine saubere Luft in München nicht vor 2025 zu
erwarten. Dabei hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof am 27.2.2017
letztinstanzlich deutlich gemacht, dass Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge
notwendig sind, um die Stickstoffdioxid-Belastung
in der Luft schnellstmöglich zu verringern.
Das
Bayerische Verwaltungsgericht München hat am 29.1.2018 auf Antrag der
Deutschen Umwelthilfe (DUH) ein Zwangsgeld in Höhe von 4.000 Euro gegen
den Freistaat Bayern festgesetzt und ein weiteres
Zwangsgeld in Höhe von nochmals 4.000 Euro gegenüber dem Freistaat
Bayern angedroht, falls dieser nicht innerhalb von vier Monaten die
Öffentlichkeitsbeteiligung zur Fortschreibung des Luftreinhalteplans
einleitet. Auf Antrag der Landesanwaltschaft wurde diese
Frist bis zum 29.06.2018 verlängert. Am 15.06.2018 hat
Ministerpräsident Söder sich dahingehend geäußert, den Beschluss des
Verwaltungsgerichts nicht erfüllen zu wollen.
Gegen
den Beschluss vom 29.1.2018 legte sowohl die DUH als auch die
Bayerische Staatsregierung Beschwerde ein. Die Beschwerde des Freistaats
wurde durch den BayVGH mit Beschluss vom 14. August
2018 (Az.: 22 C 18.583 und 22 C 18.667) zurückgewiesen. Zur Beschwerde
der DUH, mit der die Zwangshaft begehrt wird, soll die Vorabentscheidung
des EuGH eingeholt werden.
Links:
Schreiben des BayVGH vom 17. August 2018, eingegangen am 24. August 2018 – 22 C 18.1718:
http://l.duh.de/p180827
Beschluss des BayVGH vom 14. August 2018, eingegangen am 24. August 2018 - 22 C 18.583 und 22 C 18.667:
http://l.duh.de/p180827
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