26. Januar 2014

Was für ein Programm – Was für eine Vielfalt! + 41 A N T I P O D E N : klub katarakt Festival, 15. – 18.1. 2014, Kampnagel, Jarrestraße 20, 22303 Hamburg

41 A N T I P O D E N : klub katarakt Festival, 15. – 18.1. 2014, Kampnagel, Jarrestraße 20, 22303 Hamburg

 

magnetic field
© Mark Bond

Was für ein Programm – Was für eine Vielfalt!




MITTWOCH

Phill Niblock „Three Pedals“ am Eröffnungsabend (Ausschnitt siehe Video!) war ein einmaliges Klangerlebnis und da muss ich den Festivalmachern recht geben: so was kann mensch nur live erleben. Erinnert hat mich das Stück (nicht musikalisch, sondern vom inneren Gefühl her) an Philip Glass’ „Koyaanisqatsi“, wo Bilder der Ruhe mit Stadtstress wechseln oder an Glen Brancas „Symphony“n.
Wenn ich es richtig verstanden habe, dann spielten die drei Ensembles (Nelly Boyd, Ensemble neoN, Trio Scordatura) in den drei Kampnagel-Hallen jeweils einen Halbton ‚rauf, bzw. ‚runter. Im Hintergrund liefen Filmsequenzen, die Arbeiter_innen aus einem „dritten Weltland“ unkommentiert zeigten.

In diesem entstehenden endlos wirkendem Soundteppich fiel man in Trance, wurde hypnotisiert oder konnte sich davon tagen lassen. Na, es war einfach genial! Und in Verbindung mit dem Film – ich weiß auch nicht – kamen mir wieder so existentielle Fragen … Ich meine, die Leute da haben vlt. Teilweise um ihre Existenz gekämpft, aber irgendwie war da kein Stress, kein Streit, keine Hektik. Nein, es war nicht meditativ, es war schon hart. Und Überlegungen, wie viel mehr die produzieren könnten, wenn sie etwas bessere Technik hätten … Aber wo ist dann das Ende der Fahnenstange? Reicht das nicht zum Leben, was ohne Technik produziert/geschaffen werden kann? Warum müssen wir in der westlichen Welt permanent mehr arbeiten, obwohl zu einem gesunden Leben vlt. eine Drei-Tage-Arbeits-Woche mehr als ausreichend wäre? Der Witz an dem ganzen ist ja, dass wir den Fischern da die Lebensgrundlagen entziehen. Durch Umweltverschmutzung, Überfischung, etc.

Ja, ich hätte in den drei Hallen spazieren/wandeln können, wie es von den Veranstaltern erlaubt/gewünscht war. Aber hallo?, was hätte ich mir da vergeben! Ich glaube nicht, dass mensch die hypnotisierende Wirkung erleben kann, wenn er durch die Hallen geht.

Wermutstropfen, oder auch nicht: Es waren gerade am Anfang zu wenig Plätze in den einzelnen Hallen, sodass z.B. bei den „Time Zones“ von Guy de Bièvre, immer noch Plätze eingenommen und gewechselt wurden, obwohl das Trio Scordatura schon spielte. Klar, das Festival scheint mehr Besucher_innen als in den letzten Jahren zu ziehen. Oder täusche ich mich?

Das Eröffnungsstück von Matthias Kaul „do nothing, just wait, the singing will start … sooner or later“ hatte ich in der Christianskirche schon mal besser gehört. Bei dem Stück werden drei Becken mit drei elektrischen Zahnbürsten gestreichelt. 15 Minuten lang. Dabei können – neben weiteren interessanten Klängen – Unmengen an Obertönen entstehen. Kaul-typisch, dass sich seine Werke nicht im Detail wiederholen lassen. Frei nach dem Motto „mal klappt es eben besser, mal nicht so gut“. Und wie auf dem Podiumsgespräch am Freitag klargestellt wurde: Der Künstler/die Künstlerin muss die Zahnbürste sehen und lieben!

Phill Niblock - Extract performance 1st July 2009


Phill Niblock - Extract performance 1st July 2009 from PIXELS Transversaux on Vimeo.
Extract from the performance of Phill Niblock at la Générale en Manufacture (Paris), the 1st July 2009.
http://www.phillniblock.com
http://la-g.org
http://www.lespixelstransversaux.net



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FREITAG

Warum ist Esoterik eigentlich sooo verpönt bei den Veranstaltern? Bzw., warum benutzen sie das so vorsichtig, als könnten sie aus dem Saal geprügelt werden? Na ja, ist ein anderes Thema, auch wenn sie Instrumenten eine Seele geben…

„Präsentationen 39“ mit Matthias Kaul (http://www.matthiaskaul.de/) veranstaltet vom „Verband für aktuelle Musik Hamburg“ (http://www.vamh.de/), konnte ich mir nicht Entgehenlassen. Erst recht nicht nachdem ich vor Kurzem in der Christianskirche sein „Wheeled“ (siehe Video!) gespielt vom „frantic percussion ensemble“ erleben konnte. Ganz großes Kino! Warum gibt es eigentlich Geigen, wenn Fahrradspeichen denselben Klang hergeben? Jaja, nichts für Ungut ;-)

Der Typ wäre der geborene Pädagoge, wenn er nicht Musiker geworden wäre. Die Herangehensweise von den Kindern zu lernen, die mit seinen Musikinstrumenten Sachen machen, an die er noch nie gedacht hat, vermittelt Achtung. Vierjährige Kinder haben ihre eigene Welt und sie kenne sich darin aus: Knie, Kniekehlen, zerknitterte Erwachsenenhosen, Tischbeine, Tische von unten, … sinngemäss: „Wir wollen den Kindern immer alles farbenfroh machen, aber Tische sind von unten nicht bemalt. Da ist gar keine Farbe drauf.“ Inwiefern das nun schlecht ist, das wäre eine andere Diskussion, die ich gerne mal führen würde, aber das Prinzip, sich auf die Augenhöhe der Kinder zu begeben und einzulassen ist natürlich eine Grundvoraussetzung, um Kinder verstehen zu können.

Wenn Kaul meint, dass er und sein Ensemble L'ART POUR L'ART mit Henze durch sind und sich dann an den nächsten Komponisten machen, dann verstehe ich das auch im Sinne der Pädagogik. Wenn ich mit etwas durch bin, dann ist es nicht aus meiner Welt, aber ich habe es verinnerlicht, ich habe es verstanden.

Schön auch, daran zu erinnern, dass es Zeiten gab, in denen Komponisten – oder überhaupt Menschen - noch HALTUNG hatten. Als Hans Werner Henze Rudi Dutschke zu sich aufnahm, obwohl er dadurch seinen Plattenvertrag mit der Deutschen Grammophon verlor (wusste ich noch nicht!). Wer würde denn heute so was noch machen?

Wieder sehr gut besuchte Veranstaltung. Gewundert hat mich nur, dass die katarakt-Veranstalter tlw. sprachlos waren und ihnen keine Fragen einfielen, die sie Kaul hätten stellen können. Also, ich weiß nicht wie alt Kaul ist, aber ich weiß, dass wer eine langes Leben hinter sich hat und immer in Bewegung geblieben ist, viel, sehr viel erzählen kann.
Z.B. nannte das „frantic percussion ensemble“ Kaul immer auch einen „Klangforscher“. Da hätte ich gern mehr darüber gehört.

Erste Klatsche für Kampnagel: Wie peinlich, dass es kein Ersatzmikro gab. Iss ja O.K., wenn mal ein Mikro seinen Geist aufgibt, aber, wenn drei Mikros gebraucht werden nur mit drei Mikros „anzureisen“ ist nur peinlich!

Zweite Klatsche für Kampnagel: Wirklich unangenehm für Besucher_innen, die sich beizeiten an den Eingang stellen, damit sie einen Platz in der ersten Reihe bekommen, dann zu einem anderen Eingang zu schicken, wo sie nicht mehr vorn stehen…

Was bedeutet eigentlich „EA“? Erstaufführung? Ja, aber wenn es doch schon aufgeführt wurde?



frantic percussion ensemble - "Wheeled" by Matthias Kaul



Veröffentlicht am 02.05.2013


The german 'frantic percussion ensemble' plays "Wheeled", a piece for 5 bicycles and other percussive stuff, by Matthias Kaul.
The frantic percussion ensemble is:
David Gutfleisch
Simon Gutfleisch
Gunnar Kötke
Jonathan Szegedi
Markus Behn (not in the video)
Daniel Orthey (not in the video)




Matthias Kaul Relax IV Overtone Drum


Veröffentlicht am 19.09.2013
another short sequence from my music theatre " Relax" performed by Ensemble L'ART POUR L'ART based on" Metamarphosen" by Ovid



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SAMSTAG „Lange Nacht“

Makino Takashi eröffnet mit dem experimentellem Film „2012“ den Abend voller neuer Kompositionen und Improvisationen des katarakt-Kreises. „2012“ entstand 2013 und eigentlich sieht mensch in dem Film nichts. Na ja, Gekrissel und so. Und das ganze in 3D (wer’s mag!). Dann spielt der Jungspund auch noch seine eigene Musik dazu. In der Summe heißt das: innovativ genial!

Im ersten Set spielte Daria-Karmina Iossova (trotz bulgarischem Namen gehört sie zum katarakt-Kreis und hat wohl eine Vorliebe für Toypiano!) von Peter Ablinger auf Klavier. Dazu gibt es Stimme von CD. „Der Klavierpart ist die Analyse der Stimme: Die Musik analysiert die Wirklichkeit.“ (Peter Ablinger) Wirklichkeit und Wahrnehmung interagieren aufs Feinste!

Das „Stark Bewölkt Quartett“ improvisierte zwischen Trompete und Styropor, zwischen Cello und Pappröhren. Und das, ist IMMER eine Reise wert!

„Crashing Skys“ weigerte sich anfangs auf der Leinwand zu zeigen. Ich glaube, die Veranstalter hätten gut daran getan, die Zeichen zu erkennen. Vlt. will ein 16mm-Film nicht über einen Hightech-Beamer abgespielt werden. So oder so: ICH konnte mit diesem Film nichts anfangen…


Das „Dhonau-Mendez Duo“ gefiel mir durch eine angenehme Erdung (ja, der Perkussionist saß auf der Erde!). Und vor der vor allem, konnte den Saal mit seinem authentischem spontanem Spiel, begeistern.

Thomas Loebig (von „Kante“) spielte die Uraufführung von „Rotierendes Rohmaterial“ für einen mobilen Arbeitsplatz. Andrej Koroliov: Keyboards & Controller.
Bis auf ein etwas gekünsteltes Ich-nippe-mal-an-meiner-Kaffeetasse, was da iwie auch schon wieder in’s coole umkippte, gefielen mir die Sounds. Ähm, da würde ich gern mehr von hören!

Die „Vierk Gitarren“ von Engelbrecht und Fernández-Bollo

Summasummarum: Ein gelungenes Antipoden-katarakt, was sich immer mehr Beliebtheit erfreut. Wenig junges Publikum – nach wie vor. Deswegen sind Holzkisten eher eine unangebrachte Sitzmöglichkeit. Auch Veranstalter_innen müssen den demographischen Wandel berücksichtigen ;-)
Die Leute um Jan Feddersen & Robert Engelbrecht sind eine absolute Bereicherung für das Hamburger Kulturleben. Weiter so!

toberg für WideBlick









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