29. März 2014

FRIEDEN IN EUROPA IST NUR IN PARTNERSCHAFTLICHER KOOPERATION MIT RUSSLAND MÖGLICH

Der Vorstand der deutschen Sektion der IPPNW (Internationale Ärzte und
Ärztinnen für die Verhütung des Atomkrieges) erklärt:

Die deutsche Sektion der IPPNW fordert von Regierung und Parlament eine
eindeutige Ablehnung militärischer Maßnahmen und ein Bekenntnis zu
ziviler Konfliktbearbeitung. Die Abkehr von einem machtpolitisch und
wirtschaftspolitisch motivierten Konfrontationskurs ist dringend
erforderlich.

Wir beobachten die Eskalation der Krise in der Ukraine mit großer Sorge.
Es besteht die Gefahr bewaffneter Auseinandersetzungen zwischen den
verschiedenen politischen Strömungen und ein Auseinanderbrechen des
Staates. Die Konfrontation, die den Charakter eines
Stellvertreterkonfliktes hat, droht zunehmend in den Sog von Eskalation
und Militarisierung zu geraten.

Ein Beschluss des deutschen Bundestags, der die Beteiligung Deutschlands an
militärischen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Krise in und um die
Ukraine grundsätzlich ablehnt, würde ein deutliches Zeichen setzen. Er
stünde zudem in Übereinstimmung mit dem Willen der Bevölkerungsmehrheit
in Deutschland, die nicht nur Wirtschaftssanktionen ablehnt, sondern auch
bezweifelt, dass es den ausländischen Kräften in erster Linie um die
Interessen der Menschen in der Ukraine geht.¹

Unsere ärztliche Friedensorganisation kritisiert sowohl
völkerrechtswidrige Grenzverschiebungen als auch die Ausdehnung von
Militärbündnissen sowie Wirtschaftsabkommen, wie mit dem Internationalen
Währungsfond, dessen neoliberale Deregulierungsauflagen die Konzerne
reicher und die Mehrheit der Bevölkerung ärmer werden lassen. Die Folgen
haben die Menschen in der Ukraine zu tragen: Gestern z.B. kündigte der
Ministerpräsidenten der ukrainischen Übergangsregierung Arseni Jazenjuk
"Stellenabbau und soziale Einschnitte" an.

In der derzeitigen angespannten Situation sollten weder neue Staatengebilde
wie die Krim anerkannt werden, noch Assoziierungsabkommen mit einer nur
unzureichend legitimierten ukrainischen Übergangsregierung (unter
Einschluss rechtsextremer Kräfte) abgeschlossen werden. Weitere
Aufrüstungsschritte wie der Ausbau der sogenannten Raketenabwehr der NATO
müssen gestoppt werden.

Diese Woche wurde durch das Treffen von US-Präsident Obama mit
EU-Kommissionspräsident Barroso und EU-Ratspräsident Van Rompuy ein
Näherrücken von EU und USA in der Auseinandersetzung mit Russland
demonstriert. Ein weiterer konfrontativer Schritt, der die Welt nicht
"gerechter und sicherer" (Obama) machen wird. Gleichzeitig werden
Forderungen nach höheren Rüstungsausgaben erhoben und die Durchsetzung
des Freihandelsabkommens (TTIP) vorangetrieben, das Privatisierungen
begünstigt und Umweltstandards schwächt. Die skandalöse
Überwachungspraxis der Geheimdienste, die massive Zweifel an einer
vertrauensvollen Zusammenarbeit  begründet, wird dagegen zum
vernachlässigten Thema.

Die IPPNW ist in Zeiten des Kalten Krieges entstanden und erhielt für ihr
blockübergreifendes Engagement 1985 den Friedensnobelpreis. Damals wurde
der mutige Schritt getan, auf zivilgesellschaftlicher Ebene der Spaltung
der Welt in Ost und West, in Gut und Böse zu widersprechen und sich in
einem blockübergreifenden Bündnis für die Verhinderung eines
Atomkrieges einzusetzen. Heute steht nicht nur die Zukunft der Ukraine auf
dem Spiel, sondern auch die dringend notwendige Abrüstungsperspektive im
Atomwaffenbereich. Derzeit wird der Konflikt genutzt, um den Besitz von
Atomwaffen zu rechtfertigen.

Für die Lösung der gegenwärtigen komplexen Krise, wie auch kommender
Konflikte, ist zivile Konfliktbearbeitung anstelle von Konfrontation und
Sanktionen  unbedingt erforderlich. Die IPPNW kann sich für die Ukraine
und für weitere Staaten an den Grenzen Russlands einen neutralen Status
nach dem Vorbild von Österreich und der Schweiz denken. Dieser Status
müsste mit der Erklärung verbunden sein, keinem Militärbündnis
beizutreten.

Die IPPNW begrüßt als einen befriedenden Schritt, dass die OSZE nunmehr
freien Zugang zur Ukraine erhält und gemäß ihrer grundlegenden
Prinzipien, der „Charta von Paris für ein neues Europa“, dort die
Lage und Entwicklungen der Menschenrechte, Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit beobachten kann. Wir erwarten, dass die Russische
Föderation als OSZE-Mitglied den Zugang ihrer Delegationen auf der Krim
ebenfalls erlauben wird.

Es liegt eine bittere Ironie darin, dass ausgerechnet im Jahr 2014, 100
Jahre nach Beginn des ersten Weltkriegs, wieder antirussische
Ressentiments mit dem Ziel benutzt werden, einen Konfrontationskurs
populär zu machen.

Wir fordern von allen Beteiligten die Suche nach einem fairen
Interessenausgleich statt der Durchsetzung von Interessen ohne Rücksicht
auf die Menschen in der Ukraine und anderswo.

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