30. Januar 2020

Deutsche Umwelthilfe: Entwurf zur Fortschreibung des Stuttgarter Luftreinhalteplans ist unzureichend und rechtswidrig


Berlin (ots)
DUH sieht Einhaltung des Grenzwerts für das Dieselabgasgift NO2 im Jahr 2020 als nicht sichergestellt - Nach Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom Januar 2020 muss Landesregierung im gesamten Stadtgebiet Fahrverbote für alle Diesel-Fahrzeuge schlechter als Euro 6/VI vorsehen - DUH: Keine Ausnahmen für Euro 5 Diesel-Fahrzeuge mit Software-Updates - NO2-Grenzwert von 40 µg/m3 wird allein an drei Messstellen um mehr als 25 Prozent überschritten
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kritisiert den aktuellen Entwurf der 5. Fortschreibung des Stuttgarter Luftreinhalteplans als unzureichend. Der Umwelt- und Verbraucherschutzverband fühlt sich mit dieser Bewertung vom Verwaltungsgericht Stuttgart bestätigt. Das Gericht hatte im Vollstreckungsverfahren der DUH gegen das Land Baden-Württemberg am 21. Januar 2020 das höchste jemals in Deutschland verhängte Zwangsgeld gegen eine Regierung verfügt, um ein das gesamte Stadtgebiet umfassendes Dieselfahrverbot für alle Fahrzeuge schlechter als Euro 6 durchzusetzen.
Die DUH bewertet die Luftreinhalteplanung des Regierungspräsidiums Stuttgart als ausführendes Organ politischer Entscheidungen der Landesregierung als gescheitert. Im zehnten Jahr der Gültigkeit der EU-Luftqualitätsgrenzwerte für das Dieselabgasgift Stickstoffdioxid (NO2) und knapp zwei Jahre nach dem rechtsverbindlichen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ist nirgendwo in Deutschland die Luft flächendeckend so hoch mit giftigen Dieselabgasen belastet wie in der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart.
Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH: "In Baden-Württemberg regieren in der Luftreinhalte- und Verkehrspolitik nicht das Parlament bzw. die Landesregierung, sondern die Vorstandsvorsitzenden der Autokonzerne. Daher rufe ich vor allem Daimler-Chef Ola Källenius dazu auf, endlich Ministerpräsidenten Kretschmann und dessen Stellvertreter Stobl zu erlauben, Diesel-Fahrverbote für die 'Saubere Luft' für das gesamte Stadtgebiet zu akzeptieren. Die in Stuttgart ansässigen Autobosse Källenius und Blume müssen sich endlich bereiterklären, alle von Fahrverboten betroffenen Euro 5 Diesel-Pkw mit einer auch im Winter funktionierenden Abgasanlage nachzurüsten. Wir werden ein das gesamte Stuttgarter Stadtgebiet umfassendes Dieselfahrverbot für Euro 5-Diesel in 2020 durchsetzen. Wenn das aktuell höchste jemals in Deutschland verhängte Zwangsgeld gegen eine Regierung in Höhe von 25.000 Euro auch nicht wirkt, hat das Verwaltungsgericht bereits angekündigt, sich in der nächsten Stufe mit der Beugehaft zu beschäftigen."
Der gesetzlich vorgeschriebene Jahresmittelwert von 40 µg NO2/m3 wird an der verkehrsnahen Messstation Neckartor seit Beginn der Datenerhebung permanent und weit überschritten. Im Jahr 2019 wurde der seit 2010 rechtlich geltende Grenzwert mit einem Messwert von 53 µg NO2/m3 auch nach 10 Jahren der Grenzwertfestlegung massiv überschritten. In der Hohenheimer Straße, mit einem Wert von 50 µg/m3, in der Pragstraße mit einem vorläufigen Wert von 58 µg/m3 und in der Talstraße mit einem vorläufigen Wert von 50 µg/m3, wurde der rechtlich geltende Grenzwert im Jahresmittel 2019 um 25 und mehr Prozent überschritten.
Der nun vorgelegte Planentwurf der 5. Fortschreibung des Luftreinhalteplans ist bereits der dritte in 2019 veröffentlichte Plan, der erneut ungenügende Maßnahmen vorsieht, um den Grenzwert für NO2 im Stadtgebiet Stuttgart im Kalenderjahr 2020 einzuhalten.
"Obwohl zonale Fahrverbote bereits im Urteil vom 27. Februar 2018 des Bundesverwaltungsgerichts für das gesamte Stadtgebiet von Stuttgart höchstrichterlich festgeschrieben sind, wird weiterhin bewusst und nach Information der DUH offensichtlich aufgrund einer politischen Absprache zwischen Ministerpräsident Kretschmann und seinem Stellvertreter Strobl gegen das rechtskräftige Urteil verstoßen", so Jürgen Resch.
Mit Informationsfreiheitsanträgen hat die DUH beantragt, Auskunft zur Art und Inhalt des offensichtlich rechtswidrigen politischen Einwirkens in Entscheidungsprozesse der Landesverwaltung zur rechtskonformen Umsetzung der EU-Luftreinhaltungsrichtlinie zu erhalten.
Der Fortschreibungsentwurf des Luftreinhalteplans zeigt ein weiteres Mal, dass alle bisher ergriffenen Maßnahmen - entgegen der jeweils veröffentlichten Begründungen und Falschberechnungen - nicht ausreichen, um den rechtsverbindlichen NO2 Grenzwert von 40 µg/m3 im Jahresmittel flächendeckend einzuhalten. So räumt das Regierungspräsidium Stuttgart ein, dass die in der 4. Fortschreibung begutachteten streckenbezogenen Fahrverbote unter Betrachtung der aktuellen Situation in 2019 nicht genügen. Der Entwurf der 5. Fortschreibung verstößt auch bei den darin geprüften zonalen Fahrverbotszonen gegen das rechtskräftige Urteil des VG Stuttgart, da keine das gesamte Stadtgebiet umfassenden Zone für Euro-5-Dieselfahrverbote vorgesehen ist und zudem über die Hälfte der Euro 5 Diesel-Fahrzeuge unabhängig von der Höhe der tatsächlichen NOx-Emissionen ausgenommen werden sollen.
Der aktuelle Entwurf der 5. Fortschreibung sieht weit gefasste Ausnahmeregelungen für das zonale Fahrverbot für Dieselfahrzeuge der Abgasklasse schlechter Euro 6/VI vor. Insbesondere die Ausnahme, dass Fahrzeuge mit einem Software-Update von Fahrverboten für weitere zwei Jahre ausgenommen sind, mindert die anzunehmende Wirkung der Fahrverbote, entbehrt jeder rechtlichen Grundlage und widerspricht dem rechtskräftigen Gerichtsurteil.
Schließlich zeigen aktuelle Messungen des Prüfinstituts Emission Analytics für das ZDF Magazin Frontal 21 vom 21. Januar 2020 11 Prozent erhöhte NOx-Werte bei einem Mercedes C 220 Euro 5 nach dem Software-Update bei winterlichen Temperaturen. Vor dem Update blies der Mercedes 715 mg/km Stickoxide in die Luft, das Vierfache des gesetzlichen Grenzwerts für Euro 5 Dieselautos von180 mg/km. Nach dem Update lag der Durchschnittswert bei 764 mg/km. Nick Molden, Geschäftsführer von Emissions Analytics schlussfolgert in dem TV-Beitrag, dass das Update die NOx-Emissionen nicht verbessert, es verschlechtere sie.
Am 21. Januar 2020 hatte das Verwaltungsgericht Stuttgart das für die Luftreinhaltung in Stuttgart zuständige Land Baden-Württemberg im Zwangsvollstreckungsverfahren zu einem Zwangsgeld von 25.000 Euro verurteilt, damit das rechtsgültigen Urteil vom 26.7.2017, endlich umgesetzt wird.
Schon 2017 stellte das Gericht fest, dass eine schnellstmögliche Grenzwerteinhaltung nur durch die Umsetzung eines Verkehrsverbots für alle Dieselfahrzeuge unterhalb der Schadstoffklasse Euro 6/ VI in der gesamten Stuttgarter Umweltzone zu erreichen ist. Dies sieht die 5. Fortschreibung nicht vor und ist damit nicht geeignet, binnen weniger Monate den Jahresmittelgrenzwert für NO2 sicher einzuhalten. Die Rechtsauffassung der DUH wird durch die Entscheidung des VG Stuttgart vom 21.1.2020 im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens gestützt. Demnach ist nicht nur die 4. Fortschreibung des Luftreinhalteplans unzureichend, sondern unmissverständlich auch die Überlegungen, die dem Entwurf der 5. Fortschreibung zugrunde liegen.
Hintergrund:
Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Mannheim hat am 28. Juni 2019 die Beschwerde des Landes Baden-Württemberg gegen einen Zwangsvollstreckungsbeschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 26. April 2019 vollumfänglich zurückgewiesen. Das VG Stuttgart kam am 26. April 2019 zu dem Ergebnis, dass die aktuelle Fortschreibung des Luftreinhalteplans für Stuttgart gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von Februar 2018 verstößt. Der Beschluss des VG Stuttgart aus April 2019 ist damit rechtskräftig und muss umgesetzt werden. Dazu gehört auch die Aufnahme von Fahrverboten für Euro 5 Diesel-Pkw in den Luftreinhalteplan ab dem 1. Juli 2019. Die DUH hat daraufhin das Land Baden-Württemberg aufgefordert, zonale Fahrverbote für Dieselfahrzeuge der Schadstoffklasse Euro 5/V in einen neunen Luftreinhalteplan aufzunehmen. Dieser Aufforderung kam das Land nicht nach, weshalb die DUH Anfang August 2019 beim Verwaltungsgericht Stuttgart einen Antrag auf ein höheres Zwangsgeld oder Beugehaft zur Vollstreckung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Februar 2018 eingereicht hat. Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat im Januar 2020 dem Antrag der DUH auf Zwangsvollstreckung stattgegeben. Mit dem Beschluss wurde erstmals in Deutschland ein Zwangsgeld in Höhe von 25.000 Euro verhängt, das zudem an einen dritten Begünstigten, in diesem Fall an die Deutsche Kinderkrebsstiftung, zu zahlen ist.

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