27. September 2017

Flüchtlingsschutz in den Koalitionsvertrag


Amnesty International und PRO ASYL fordern die künftige Bundesregierung zum bundesweiten Flüchtlingstag am 29. September auf, menschenrechtliche Standards beim Flüchtlingsschutz einzuhalten.

BERLIN, 27.09.2017 – Amnesty International und PRO ASYL dringen auf eine Stärkung des individuellen Asylrechts. Die beiden Organisationen kritisieren die Zusammenarbeit der EU mit Drittstaaten und die aktuellen Reformen des EU-Asylrechts. Die nächste Bundesregierung ist nun gefordert, einen Kurswechsel einzuleiten, damit schutzsuchende Menschen auch künftig noch Asyl in Europa beantragen können. Denn die Verhandlungsführung der nächsten deutschen Regierung wird maßgeblich dafür sein, ob es auf EU-Ebene einen notwendigen Wechsel gibt: Es gilt, den völkerrechtlich verbrieften Zugang für Schutzsuchende zum individuellen Asylrecht in Europa sicherzustellen und zu garantieren.

Auf nationaler Ebene sind alle demokratischen Parteien des deutschen Bundestages gefragt, sich rassistischen Parolen entschieden entgegen zu stellen. Amnesty und PRO ASYL appellieren an die Parlamentarier, ihrer menschenrechtlichen Verpflichtung nachzukommen und sich für den Schutz von Menschen auf der Flucht einzusetzen.    

Amnesty International und PRO ASYL kritisieren scharf die EU-Zusammenarbeit mit Libyen sowie mit der Türkei zur Abriegelung der Fluchtwege. „Zufluchtsuchende Menschen werden im europäischen Auftrag nach Libyen zurückgebracht, in ein Land, in dem schwere Menschenrechtsverletzungen wie Misshandlungen, Folter und Vergewaltigungen an der Tagesordnung sind“, sagt Markus N. Beeko, Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland. „In seinem aktuellen Zustand ist Libyen ein erschreckendes Beispiel für einen Staat, der keine menschenrechtlichen Standards erfüllt – die EU darf nicht darauf hinwirken, dass Menschen dorthin gebracht werden“, so Beeko. Er fordert: „Niemand darf ohne Prüfung seiner Verfolgungsgründe einfach in die Türkei oder ein anderes Nicht-EU-Land abgeschoben werden, solange ihm dort kein effektiver Schutz garantiert werden kann.“

Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL, erklärt: „Die Staaten Europas bereiten durch militärische Abschottungsmaßnahmen und juristische Winkelzüge den Ausstieg eines Kontinents aus dem individuellen Asylrecht vor.“ Die aktuelle Flüchtlingspolitik zerstört die Prinzipien eines Europas der Menschenrechte und der Solidarität. Amnesty International und PRO ASYL erwarten von der neuen Bundesregierung eine menschenrechtsbasierte, völkerrechtskonforme Flüchtlingspolitik.

Bei Migrationskooperationen mit Drittstaaten muss die Europäische Union die Einhaltung menschenrechtlicher Standards gewährleisten. Dazu zählt das Recht, Asyl zu suchen, nicht willkürlich und auf unbestimmte Zeit inhaftiert zu werden und nicht gefoltert zu werden. „Die Kooperation mit der Staatsruine Libyen und die Verhinderung der Seenotrettung durch die mit EU-Geldern aufgerüstete libysche Küstenwache ist ein arbeitsteilig organisierter Völkerrechtsbruch“, sagt Burkhardt.

Der Zugang zu einem fairen Asylverfahren wird durch die vorgeschlagene Neufassung der Dublin-Verordnung gefährdet. So sollen für Schutzsuchende europaweit verbindliche Zulässigkeitsverfahren als Hürden vor dem eigentlichen Asylverfahren stattfinden. Statt über die Schutzbedürftigkeit zu entscheiden, soll nur geprüft werden, ob ein Asylantrag in der EU überhaupt gestellt werden darf, also „zulässig“ ist. So wird das Risiko massiv erhöht, dass Menschen, die Schutz suchen, genau diesen Schutz nicht erhalten.
Amnesty International und PRO ASYL fordern faire Asylverfahren, in denen Fluchtgründe tatsächlich geprüft und gewürdigt werden.

Außerdem soll erlaubt sein, Asylsuchende auch nach Jahren noch in die Randstaaten der EU zurückzuschicken. Durch die Abschaffung der Fristen besteht aber die Gefahr, dass sich kein Staat mehr verantwortlich fühlt, die Asylverfahren durchzuführen. Die Betroffenen werden auf diese Weise recht- und schutzlos gestellt. Welches EU-Land zuständig ist, muss weiterhin zügig geklärt werden. Deshalb muss die bisherige sechs-Monatsfrist zur Bestimmung des zuständigen Staates nach der Dublin-Verordnung erhalten bleiben.

Anstatt weiter Flüchtlingsabwehr zu betreiben und das Leid der Schutzsuchenden aus dem Blickfeld der europäischen Öffentlichkeit zu verbannen, müssen die EU-Mitgliedsstaaten legale und gefahrenfreie Wege nach Europa eröffnen. Dazu zählt auch der Familiennachzug. Amnesty-Generalsekretär Beeko erklärt: „Der pauschale Ausschluss des Familiennachzugs über Jahre hinweg ist menschenrechtswidrig.“ Amnesty International und PRO ASYL fordern die neue Bundesregierung dringend auf, den bis März 2018 ausgesetzten Familiennachzug für subsidiär Geschützte wieder zuzulassen. „Wer Flüchtlingen ihr Recht auf Familiennachzug verweigert oder ihn in welcher Form auch immer begrenzen will, handelt wider geltendes Recht“, ergänzt Burkhardt. „Familien dürfen nicht über Jahre hinweg getrennt werden.“

Einen Politikwechsel braucht es auch beim Umgang mit afghanischen Flüchtlingen. Die aktuelle Sicherheitslage in Afghanistan ist so schlecht wie nie seit dem Ende der Taliban-Regierung im Jahr 2001. Menschen können überall Opfer von Kampfhandlungen, Anschlägen und Verfolgung werden. Beeko fordert: „Die neue Bundesregierung darf angesichts der prekären Sicherheitslage niemanden nach Afghanistan abschieben.“ Burkhardt erklärt zudem: „Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge darf Anträge aus Afghanistan nicht pauschal mit dem Hinweis darauf ablehnen, es gebe dort eine sichere interne Fluchtalternative.“ Bereits 60.000 Männer und Frauen aus Afghanistan wurden dieses Jahr, oftmals mit dieser Fehleinschätzung, abgelehnt.

Amnesty-Berichte zur Lage von Flüchtlingen in Afghanistan, Griechenland, Libyen und der Türkei sowie weitere Informationen finden Sie unter bit.ly/AmnestyBundesweiterFlüchtlingstag2017

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