Der
Verzicht auf einen amtlich verfügten und damit rechtlich geregelten
Rückruf ist ein erneuter Kniefall vor den Autokonzernen
– Mehrere Millionen betroffene Fahrzeughalter müssen nun mit
Einzelklagen und Einzelgutachten ihre Ansprüche gegen die Hersteller
durchsetzen – Im Gegensatz zu den USA oder Südkorea verzichtet
Verkehrsminister Dobrindt auch weiterhin auf konkrete Vorgaben
zur Höhe der zu erreichenden Verbesserung der Stickoxid-Emissionen im
Straßenbetrieb
Berlin 22.4.2016:
Anlässlich der Veröffentlichung des Prüfberichts
des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) zum Diesel-Abgasskandal erhebt die
Deutsche Umwelthilfe (DUH) Vorwürfe gegen Bundesverkehrsminister
Alexander Dobrindt. Nach Auffassung der Umwelt- und
Verbraucherschutzorganisation behindert Herr Dobrindt weiterhin sowohl
die Aufklärung wie die Lösung des Diesel-Abgasskandals und setzt seine
konspirative Kooperation mit den Autokonzernen zum Schaden der Bürger
fort.
„Seit
fünf Monaten kennt die Bundesregierung die alarmierenden
Stickoxid-Werte bei den getesteten Dieselfahrzeugen, ohne diese zu
veröffentlichen. In dieser Zeit haben viele hunderttausend Bürger im
Vertrauen auf die Behörden vermeintlich saubere Euro-6 Diesel-Pkw
gekauft, die sich jetzt als Dreck- und Giftschleudern herausstellen.
Wenn Opel bereits bei plus 17 Grad und Mercedes-Benz
bei zehn Grad Außentemperatur rechtswidrig die Abgasreinigung
weitgehend einstellen, dann muss die Bundesregierung handeln und die
betroffenen Fahrzeuge stilllegen oder einen amtlichen Rückruf zur
Reparatur anordnen. Doch mehr als einen freiwilligen Rückruf
kann und will diese Bundesregierung offensichtlich gegenüber den
Autokonzernen nicht durchsetzen“, so
Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH.
„Wer
eine rote Ampel überfährt, muss mit einem Monat Fahrverbot rechnen. Wer
aber wie Dieter Zetsche von Daimler und Herr Neumann
von Opel seinen Kunden Autos ohne funktionierende Abgasreinigung
verkauft und für jährlich mehrere tausend vorzeitige Todesfälle
verantwortlich ist, darf Art und Umfang seines Rückrufs selbst
definieren. Die Folgen sind für die betroffenen Autobesitzer verheerend.
Da die Bundesregierung diese Praktiken als 'noch legal' akzeptiert,
muss jeder Autohalter in individuellen Klagen seine Ansprüche gegen den
Hersteller oder Händler durchsetzen“, so Resch weiter.
Schwere
Vorwürfe erhebt die DUH auch bezüglich der Rückrufe bei Volkswagen.
Während in den USA und selbst in Korea Volkswagen, Audi
beziehungsweise Porsche nachweisen müssen, dass durch die Nachrüstung
die Abgasreinigung auf der Straße uneingeschränkt funktioniert,
verzichtet Minister Dobrindt und das ihm unterstellte KBA absurderweise
gerade hierauf. Beim ersten nachgerüsteten VW Fahrzeug
sind nach dem Softwareupdate sogar die viel zu hohen NOx-Emissionen
nochmals leicht gestiegen.
„Die
DUH fordert ein Ende des Schmusekurses und eine harte und konsequente
Durchsetzung des geltenden Rechts. Die Zulassungsverordnung
kennt den Begriff ‚Thermofenster‘ nicht. Vielmehr verbietet sie
ausdrücklich und an erster Stelle Abschalteinrichtungen, die bei
bestimmten Temperaturen aktiviert werden. Die Autokonzerne müssen
verpflichtet werden, ihre zur Verpestung der innerstädtischen
Luft beitragenden Euro 5 und Euro 6 Diesel-Pkw so nachzurüsten, dass
sie auf der Straße die Dieselabgase immer zu über 90 Prozent
herausfiltern. Fahrzeuge, die nicht nachrüstbar sind, müssen wie in den
USA zurückgekauft und verschrottet werden. Alle Kosten
für Nachrüstung, Rückkauf und Kompensation des Schadens müssen die
Hersteller tragen“, so Resch.
Mit
Bekanntwerden des Volkswagen-Betrugs in den USA im September 2015
intensivierte die DUH ihre eigenen Abgasmessungen und die
Auswertungen vorliegender Gutachten. Als einzige Prüfstelle sucht sie
gezielt nach klaren Indizien für Abschalteinrichtungen (defeat devices)
und veröffentlicht diese jeweils umgehend gemeinsam mit den gefundenen –
in jedem Einzelfall erschreckend hohen –
Stickoxid-Emissionen. Gleichzeitig stellte sie die Daten den deutschen,
europäischen und amerikanischen Behörden zur Verfügung. In den
vergangenen sieben Monaten hat das Bundesverkehrsministerium jeden
einzelnen Gesprächswunsch, in mehreren Fällen verbunden
mit dem dringenden Angebot, vertrauliche Whistleblower-Informationen zu
übermitteln, abgelehnt oder ignoriert. Die DUH wurde bei ihren
Messungen zudem aktiv behindert. In zwei Fällen benötigte sie beim KBA
vorliegende, öffentliche Daten zur Einstellung des
Rollenprüfstands für Abgastests, zu deren zeitnahen Überlassung sich
diese Behörde nicht in der Lage sah. Nur durch eine Amtshilfe jeweils
durch Schweizer Behörden gelang es, jeweils binnen Minuten diese Angaben
zu erhalten, um dann die Prüfungen durchführen
zu können. Kooperativ zeigt sich auch die amerikanische Umweltbehörde
EPA, mit der auch Arbeitsgespräche möglich und behördlicherseits
erwünscht sind.
Hintergrund:
Die
DUH hat bereits 2008 gegen den aktiven Widerstand der Bundesregierung
auf dem Klageweg dem Umweltministerium vorliegende Gutachten
über unwirksame Dieselrußfilter öffentlich gemacht und einen
halbherzigen Teilrückruf durch das KBA erreicht. Seit Herbst 2007 weist
sie auf die zunehmenden Abweichungen bei Abgas- und CO2-Emissionen und
die seit spätestens 2009 rechtswidrige Nichtkontrolle
durch das Kraftfahrtbundesamt hin.
Bereits
2011 veröffentlichte sie eigene Tests mit 34-fachen Überschreitungen
von Stickoxid-Emissionen bei einem 1-er BMW und informierte
im Februar 2011 das Bundesverkehrsministerium in einem offiziellen
Besprechungstermin über Prüfergebnisse am VW Betrugsmotor der 189er
Baureihe, eingebaut in einem VW Passat.
Im
September 2015, zwei Tage vor dem Bekanntwerden des
Diesel-Abgasskandals in den USA veröffentlichte die DUH erstmals Zahlen
zu
den vielfachen Überschreitungen der größten europäischen Autobauer.
Heute, sieben Monate später, haben sich die Zahlen und die
Abschalteinrichtungen als wahr bestätigt. Leider aber auch die
konsistente Haltung der Bundesregierung, in den USA als rechtswidrig
angesehene Manipulationen der Abgasreinigung z. B. bei niedrigen
Außentemperaturen als legal zu betrachten.
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