Hamburg, 16.10.2013
Offener Brief der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ an den Senat der Stadt Hamburg und Erneuerung unseres Gesprächsangebots
Sehr geehrter Herr Scholz, sehr geehrter Herr Neumann,
Nicht
wir, die Menschen der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ verstecken unsere
Identität, sondern die europäischen Regierungen verstecken sich vor der
Verantwortung, sich der Realität zu stellen.
Am
1. Mai 2013 sind wir, die libyschen Kriegsflüchtlinge, in Hamburg in
die Öffentlichkeit getreten und haben die Zusammenhänge, warum wir in
Hamburg sind, sichtbar gemacht. Wir haben auch deutlich gemacht, warum
für die Umsetzung unseres durch Italien anerkannten Flüchtlingsstatus
die gesamte Europäische Union und eben auch Hamburg verantwortlich ist.
Wir
haben um Gespräche mit Ihnen, der Hamburger Regierung, zur Findung
einer politischen Lösung für unsere traumatische und rechtlose Lage
gebeten. Sie haben nicht das Gespräch mit uns gesucht, sondern sich
hinter einem Gesetz versteckt, welches für uns eine Bedrohung unserer
Leben ist. Sie haben, unsere Lebensrealität ignorierend, die Rückführung
nach Italien als einzige (gesetzliche) Möglichkeit dargestellt und
ignorieren dabei die gefährliche Situation, in der sich Flüchtlinge dort
wiederfinden.
Gespräche
mit uns haben nicht stattgefunden. Deshalb sind wir am 22. Mai ins
Rathaus marschiert, um das Gespräch zu fordern ohne dies zu erreichen.
Dafür nahmen uns die Medien und die Öffentlichkeit stärker wahr. Viele
Menschen haben uns kennengelernt. Wir stehen seit fast sechs Monaten in
der Hamburger Öffentlichkeit, wir sind jeden Tag an unserem Protest- und
Informationszelt am Steindamm, wir sprechen mit den Bürgern und
Bürgerinnen der Stadt und ebenso mit den vielen Touristen in Hamburg.
Menschenrechtsvertreter, Priester und Imame, Lehrerinnen und Schüler und
auch EU-Parlamentarier und Bundestagsabgeordnete haben uns besucht. Wir
stehen mit unseren Namen und unseren Geschichten in den Medien. Wir
treten mit offenem Gesicht für unsere Rechte ein und wir melden
Versammlungen an.
Wir
sind nicht grundsätzlich dagegen, unsere Papieren den Behörden
auszuhändigen, sodass Recht geltend gemacht werden kann. Angesichts der
Ablehnung jeglicher Annäherung und Offenheit für unsere existenzielle
Not, befürchten wir jedoch, dass Sie lediglich unsere unmenschliche
Abschiebung vorbereiten wollen. In unserer verzweifelten Lage, müssen
wir wissen was passieren wird, wenn wir unser Leben den Behörden
anvertrauen. Wir wissen nicht was Sie vor haben und haben Angst davor,
dass die europäische Politik unser Leben ein weiteres Mal zerstört.
Wir
erinnern uns an das einzige Gespräch mit einer Vertreterin der
Sozialbehörde und einem Vertreter des Flüchtlingszentrums, das in
unserem Zelt stattgefunden hat, als aus der Bevölkerung, den Kirchen und
den Moscheen bereits humanitäre Nothilfe geleistet wurde und wir
zumindest im Trockenen schlafen konnten. Es wurde uns gesagt, dass es in
Hamburg keine freien Unterkünfte gäbe, dass die Situation sehr
schwierig sei, dass man sich aber bemühen würde. Wir sollten zunächst
erst einmal eine Liste mit unseren Namen einreichen. Wenn etwas gefunden
würde, könnten wir uns von den Wochen des Lebens auf den nassen und
kalten Straßen etwas erholen, um uns auf die Rückreise nach Italien
vorzubereiten. Hieran scheiterten die ersten Verhandlungen zwischen der
Nordkirche und Ihnen.
Sie suchten kein weiteres Gespräch mit uns. In der Öffentlichkeit sagten Sie, es gäbe für Hamburg keinen Handlungsspielraum.
Wir
haben zusammen mit unseren Rechtsanwältinnen in einer Pressekonferenz,
dargelegt, dass Hamburg sehr wohl rechtliche Möglichkeiten hat. Geradezu
beispielhaft für unsere gemeinsame Flucht- und Lebensgeschichte
beginnend von der Eskalation des Krieges in Libyen im März 2011, steht
der Paragraph 23 des Aufenthaltsgesetzes. Dieser Paragraph wurde
geschaffen, um aufwendige und langandauernde Einzelverfahren für eine
größere Anzahl Personen, die alle gleichen Kriterien entsprechen, zu
vermeiden. Die Anwendungsmöglichkeit liegt im Ermessen der jeweiligen
Landesregierung im Einvernehmen mit dem Bundesinnenminister.
Mit
Verweis auf die sichere Ablehnung durch das Bundesinnenministerium
lehnten Sie diese Möglichkeit ab. Dieses wies jedoch mehrfach auf
Hamburgs Souveränität in der Sache hin – zunächst in Antwort auf eine
Anfrage im Bundestag, dann in den Antwortschreiben an Zeichner der
Petition und zuletzt durch den Menschenrechtsbeauftragten der
Bundesregierung.
Da
Sie dem Vorschlag der Anwendung des Paragraphen 23 nicht aufgreifen
wollten, versuchte die Nordkirche erneute Gespräche in Richtung einer
Lösung. Ergebnis war, dass unsere Rechtsanwälte zusammen mit Fluchtpunkt
auf Ihren Vorschlag hin, anonymisierte Musteranträge einreichten. Wir
entschieden zusätzlich, einen Antrag namentlich durch eine Person aus
unserem Kreis zu stellen. Alle Anträge stehen stellvertretend für alle
von uns. Ihre Behörde lehnte alle Anträge ab. Die in den Anträgen
inhaltlich vorgetragenen Gründe wurden mit Ausführungen über die
Gesetzeslage beantwortet. Der zweite Vermittlungsversuch der Nordkirche
war gescheitert.
Wir
haben weiter im Licht der Öffentlichkeit gestanden und die
Unterstützung und das Verständnis für uns sind stetig gewachsen.
Diskussionen und Gespräche drehten sich darum, wie eine politische
Lösung erreicht werden kann.
In
diesem Moment – und noch während des frischen Schmerzes über die
jüngsten Toten vor Lampedusa – setzen Sie eine Polizeioperation gegen
uns, die Überlebenden des Kriegs und der Flucht nach Lampedusa, in Gang,
die die Welt schockiert.
In
dieser Polizeioperationen sind zahlreiche Rechtswidrigkeiten und
Rechtsbeugungen vorgekommen. In der emotional aufgewühlten
Öffentlichkeit versuchen Sie diese Maßnahmen zu rechtfertigen, in dem
Sie uns und unsere Situation sowie unseren Status falsch darstellen.
Deshalb die Klarstellung:
-
Wir sind Inhaber gültiger Ausweisdokumente – was auch die gesamte Polizeioperation rechtlich in Frage stellt.
-
Wir verdecken nicht unsere Identität, wir sind eine der präsentesten und öffentlichsten Gruppen von Menschen in dieser Stadt.
-
Wir stellen keine Asylanträge, weil wir das Procedere bereits in Italien durchlaufen haben. Weshalb ein erneutes Verfahren nicht nur unnötig ist, es macht auch rechtlich keinen Sinn.
Unser
Erscheinen in der Stadt hat einen Grund, den wir nicht verursacht oder
verschuldet haben. Warum viele Menschen in Hamburg sich an unsere Seite
gestellt haben, hat auch einen Grund. Diesen haben wir mit verursacht.
Wir haben immer erklärt, woher wir gekommen sind, warum wir gekommen
sind, dass wir bleiben und warum wir bleiben. In diesem Kampf sind wir
mit bösartigen Beschuldigungen und schwerer Repression konfrontiert,
doch wir glauben, dass unser Kampf gerecht ist.
Ein
Problem, welches so komplex und sensibel ist wie das unsere, kann nicht
mit dem Vorschlaghammer gelöst werden. Konstruktive Gespräche zwischen
uns, den Betroffenen und Ihnen, den verantwortlichen Repräsentanten
dieser Stadt, wären ein Ausweg aus der Spirale der Eskalation, die
derzeit die Stadt Hamburg ergriffen hat. Wir, die Gruppe „Lampedusa in
Hamburg“, haben immer unsere Gesprächsbereitschaft signalisiert und
erneuern unser Gesprächsangebot in aller Deutlichkeit ein weiteres Mal.
Unsere Telefonnummern und die Telefonnummern unserer Anwälte sind Ihnen
bekannt.
Mit freundlichen Grüßen,
Affo Tchassei (Tel. 0176-717 402 36)Asuquo Udo (Tel. 0152-146 725 37)
Anane Kofi Mark (Tel. 0152-170 045 94)
Friday Emitola (Tel. 0152-170 052 71)
als Sprecher der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“

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