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BERLIN, 26.02.2020 – Im vergangenen Jahr gingen auf dem amerikanischen
Kontinent Millionen Menschen auf die Straße, um gegen die um sich
greifende Gewalt, Ungleichheit, Korruption und Straflosigkeit zu
protestieren. Andere mussten aus ihrer Heimat fliehen und in anderen
Ländern des Kontinents Schutz suchen. In völliger Missachtung ihrer
Verpflichtungen nach nationalem und internationalem Recht, gingen die
Regierungen in allen Teilen des amerikanischen Kontinents unerbittlich
sowohl gegen die Versammlungsfreiheit als auch gegen das Recht auf Asyl
vor. „Leider standen Menschenrechtsverletzungen auch 2019 in großen
Teilen der Region auf der Tagesordnung. Das repressive und zum Teil
tödliche Vorgehen der Regierungen gegen Protestierende und fliehende
Menschen hat auch international für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Trotz
der Gegenmaßnahmen haben sich viele Menschen nicht davon abschrecken
lassen, sich weiter für ihre und die Rechte anderer einzusetzen. Das
gibt Grund zur Hoffnung.“, sagt Katharina Masoud, Expertin für die
Amerikas bei Amnesty International in Deutschland.
Zügellose Gewalt und staatliche Repression gegen Protestierende und Menschenrechtsverteidiger Im
vergangenen Jahr wurden die häufig von jungen Menschen angeführte
Protestbewegungen in Venezuela, Honduras, Puerto Rico, Ecuador,
Bolivien, Haiti, Chile, Kolumbien und anderen Ländern besonders laut.
Sie forderten Rechenschaftspflicht und Achtung der Menschenrechte. Doch
die Behörden reagierten darauf regelmäßig mit repressiven und zunehmend
militärischen Taktiken, statt auf die Anliegen der Protestierenden
einzugehen.
In Venezuela war die Repression gegen Protestierende
besonders brutal. Die Sicherheitskräfte der Regierung von Nicolás
Maduro begingen schwere Menschenrechtsverletzungen wie außergerichtliche
Hinrichtungen, willkürliche Festnahmen und exzessive Anwendung von
Gewalt, die möglicherweise als Verbrechen gegen die Menschlichkeit
eingestuft werden können. Auch in Chile wurden Armee und Polizei
eingesetzt, um Protestierende vorsätzlich zu verletzen. Mindestens vier
Menschen wurden dabei getötet, Tausende weitere schwer verletzt. Insgesamt
starben 2019 bei Protesten auf dem amerikanischen Kontinent mindestens
202 Menschen: 83 in Haiti, 47 in Venezuela, 35 in Bolivien, 22 in Chile,
acht in Ecuador und sechs in Honduras.
Lateinamerika war für
Menschenrechtsverteidiger einmal mehr die gefährlichste Region auf der
Welt. Diejenigen, die sich für Land- und Umweltrechte einsetzten, waren
besonders gefährdet, drangsaliert, vertrieben, kriminalisiert oder
gezielt getötet zu werden. Kolumbien war für Menschenrechtsverteidiger
nach wie vor das Land mit dem höchsten Risiko getötet zu werden. Während
der interne bewaffnete Konflikt in diesem Land weiterhin wütete, wurden
mindestens 106 Menschenrechtsverteidiger getötet, zumeist Vertreter
indigener, afro-kolumbianischer und kleinbäuerlicher Gemeinschaften. Mit
mindestens zehn ermordeten Journalisten im Jahr 2019 gehörte Mexiko
weltweit zu den gefährlichsten Ländern für Angehörige dieser
Berufsgruppe. Obwohl das Land unter einer Rekordzahl von Tötungsdelikten
litt, beharrte die Regierung weiterhin auf fehlgeschlagenen
Sicherheitsstrategien der Vergangenheit, indem sie eine militarisierte
Nationalgarde einrichtete und ein besorgniserregendes Gesetz über die
Anwendung von Gewalt zur Verabschiedung einbrachte.
Waffengewalt
ist weiterhin eines der größten Menschenrechtsprobleme in den USA. Die
Gesetze sind unzureichend, um eine wirksame Kontrolle von Schusswaffen
auszuüben. Auch in Brasilien unterzeichnete Präsident Bolsonaro eine
Reihe von Dekreten und Durchführungsverordnungen, die neben anderen
besorgniserregenden Inhalten auch die Lockerung gesetzlicher
Bestimmungen für den Besitz und das Tragen von Schusswaffen vorsahen.
Regierungen nahmen aggressive Haltungen gegenüber Migranten, Flüchtlingen und Asylsuchenden ein Die
Zahl der Männer, Frauen und Kinder, die in den vergangenen Jahren vor
der Menschenrechtskrise in Venezuela flohen, erreichte die bisher auf
dem amerikanischen Kontinent beispiellose Höhe von fast 4,8 Millionen.
Doch Peru, Ecuador und Chile reagierten darauf mit dem Erlass neuer
restriktiver Einreisebestimmungen und der rechtswidrigen Zurückweisung
von Venezolanern, die internationalen Schutz benötigten. Weiter im
Norden missbrauchte die US-Regierung das Justizsystem, um
Menschenrechtsverteidiger, die sich für die Rechte von Migranten
einsetzten, zu schikanieren und Kinder, die vor der Gewalt in ihren
Ländern geflohen waren, widerrechtlich festzunehmen. Während Menschen
aufgrund der anhaltenden und weitverbreiteten Gewalt in ihren
Heimatländern nach wie vor Schutz in den USA suchten zwang die
Trump-Regierung Zehntausende dazu, unter gefährlichen Bedingungen in
Mexiko auszuharren. Die mexikanische Regierung setzte auch Militär ein,
um aus Mittelamerika fliehende Menschen daran zu hindern, sich auf den
Weg zur Grenze zwischen Mexiko und den USA zu machen. Die USA setzten
zudem andere Nachbarländer unter Druck, das Recht auf Asyl zu verletzen,
indem sie die konfliktträchtigen Länder Guatemala, El Salvador und
Honduras dazu veranlassten, eine Reihe von schlecht konzipierten und der
Realität zuwiderlaufenden „Sichere Drittstaaten-Abkommen“ zu
unterzeichnen.
Straflosigkeit, Umweltzerstörung und geschlechtsspezifische Gewalt sind weiterhin die größten Probleme Straflosigkeit
ist weiterhin überall in der Region die Regel. Die guatemaltekische
Regierung verhinderte für die Opfer schwerer Menschenrechtsverletzungen
den Zugang zu Gerechtigkeit, indem sie im vergangenen Jahr die
Internationale Kommission gegen die Straflosigkeit in Guatemala zur
Einstellung ihrer Tätigkeit zwang. Zuvor hatte bereits die Regierung im
benachbarten Honduras angekündigt, dass die Mission zum Kampf gegen
Korruption und Straflosigkeit im Januar 2020 ihre Arbeit beenden müsse. Umweltprobleme
nahmen auf dem gesamten amerikanischen Kontinent weiter zu und die
Trump-Regierung kündigte offiziell ihre Absicht zum Austritt aus dem
Abkommen von Paris an, während schwere Umweltkrisen im Amazonasgebiet
das Leben indigener Bevölkerungsgruppen in Brasilien, Bolivien, Peru und
Ecuador beeinträchtigten. Brasilien wurde besonders hart von der
umweltfeindlichen Politik von Präsident Bolsonaro getroffen, die zu den
verheerenden Waldbränden im Amazonasgebiet beitrug und die indigene
Gemeinschaften nicht vor widerrechtlicher Landnahme schützte, welche
Platz für illegale Rodungen und Rinderfarmen schaffen sollten.
Währenddessen wurde der aufsehenerregende Fall der im Jahr 2018
getöteten Menschenrechtsverteidigerin Marielle Franco noch immer nicht
aufgeklärt.
Trotz einiger Fortschritte und der zunehmenden
Stärke verschiedener Frauenrechtsbewegungen in der Region Amerika, ist
geschlechtsspezifische Gewalt noch immer weit verbreitet. In der
Dominikanischen Republik demütigte, verprügelte und vergewaltigte die
Polizei Sexarbeiterinnen regelmäßig. Diese Übergriffe entsprachen
möglicherweise dem Straftatbestand der Folter. Im Hinblick auf die
sexuellen und reproduktiven Rechte von Frauen in der Region wurden nur
wenige Fortschritte erreicht. Die Behörden in El Salvador
kriminalisierten auf Grundlage des drakonischen ausnahmslosen Verbots
von Schwangerschaftsabbrüchen weiterhin Frauen und Mädchen, wenn sie
eine Fehlgeburt erlitten. In Argentinien bringt durchschnittlich alle
drei Stunden ein Mädchen unter 15 Jahren ein Kind zur Welt, die meisten
von ihnen nach ungewollten Schwangerschaften, die vielfach die Folge
sexualisierter Gewalt waren.
Erfolge im Kampf für Menschenrechte und Gründe für Optimismus im Jahr 2020 Im
vergangenen Jahr gab es jedoch auch einige positive Nachrichten. Bis
Ende 2019 haben 22 Länder das Abkommen von Escazú, einen bahnbrechenden
regionalen Vertrag über Umweltrechte, unterzeichnet. Ratifiziert haben
das Abkommen jedoch bislang nur wenige Staaten. Ecuador war das achte
Land, das im Februar den Vertrag ratifizierte, sodass noch drei weitere
Länder diesem Beispiel folgen müssen, um den Vertrag in Kraft zu
setzen.
In den USA sprach im November ein Gericht in Arizona den
humanitären Helfer Scott Warren von der Anklage der „Gewährung von
Unterschlupf” für zwei Migranten frei. Er hatte sie mit Nahrung, Wasser
und einem Schlafplatz versorgt. Außerdem hob ein US-Bundesrichter im
Februar das Urteil gegen vier weitere humanitäre Helfer auf, die unter
ähnlichen Anklagen gestanden hatten. Der Freispruch von Evelyn
Hernández in El Salvador, die nach einer Totgeburt des Mordes unter
erschwerten Umständen angeklagt worden war, stellte einen weiteren Sieg
für die Menschenrechte dar, auch wenn die Staatsanwaltschaft Berufung
gegen das Urteil eingelegt hat.
„Frauen und Mädchen forderten in
machtvolle feministische Demonstrationen in Ländern wie Argentinien,
Mexiko und Chile die Achtung ihrer sexuellen und reproduktiven Rechte
sowie die Beendigung von geschlechtsspezifischer Gewalt. Die durch ein
grünes Halstuch symbolisierte „grüne Welle“ wurde zu einer
unaufhaltsamen Bewegung auf dem ganzen amerikanischen Kontinent. So
wurde beispielsweise die Performance „Un violador en tu camino“ (Ein
Vergewaltiger auf deinem Weg) zur Hymne der Bewegung, die von Santiago
de Chile über Mexiko-Stadt bis hin zu Washington D.C. aufgeführt wurde.
Diese Solidarität kann uns optimistisch stimmen“, sagt Katharina Masoud. „Allerdings
müssen die Regierungen des amerikanischen Kontinents den Forderungen
der vielfältigen zivilgesellschaftlichen Bewegungen, welche sich für die
Einhaltung der Menschenrechte einsetzen, Gehör schenken, statt ihre
Rechte weiter einzuschränken“, so Katharina Masoud. |
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