Eine
halb von Daimler und halb mit Steuergeld finanzierte Studie rechnet
negative Auswirkungen des Riesen-Lkw-Verkehrs schön – und kann
trotzdem keine Klimavorteile nachweisen. Bleibt das Papier deshalb bis
nach der Bundestagswahl unter Verschluss?
Berlin, 25. September 2017:
Mit
Befremden reagieren Umwelt- und Verkehrsverbände auf die Geheimhaltung
einer vom Land Baden-Württemberg lange angekündigten Studie zu
Klimaeffekten von Gigalinern.
„Zuerst agiert die Stuttgarter Landesregierung beim Thema Lang-Lkw
ohne Distanz zur Herstellerlobby, indem sie eine gemeinsame Studie in
Auftrag gibt und nun bleibt die längst überfällige Studie auch noch
unter Verschluss“, warfen ACV, Allianz pro Schiene,
BUND und Deutsche Umwelthilfe (DUH) der Landesregierung am 25.
September in einer gemeinsamen Mitteilung vor. Nachdem eine Kurzfassung
der Studie bereits am 23. August öffentlich geworden war, kündigte die
Landesregierung in Stuttgart die Langfassung der brisanten
Ergebnisse für Ende August an. Auf Anfrage teilte das Stuttgarter
Verkehrsministerium jetzt mit, die Studie käme frühestens im Oktober,
einen Termin könne man aber noch nicht nennen.
„Baden-Württemberg verliert in der seit Jahren äußerst kontrovers
geführten Gigaliner-Debatte dramatisch an Glaubwürdigkeit. Es ist
offenkundig, dass dieses strittige Papier bis nach der Bundestagswahl
zurückgehalten werden soll“, kritisierten die Verbände.
DUH: Stuttgarter Landesregierung macht Kniefall vor Daimler
DUH-Geschäftsführer
Jürgen Resch: „Der Daimler-Konzern benutzt das Land als Feigenblatt im Gigaliner-Poker.“
Schriftlich habe die Stuttgarter Landesregierung den Verbänden
mitgeteilt, dass die Erstellung der Studie von Daimler „beschlossen“
worden sei, das Untersuchungskonzept
„gemeinsam (mit dem Verkehrsministerium des Landes) erarbeitet“ wurde
und die Studie „zu gleichen Teilen von der Daimler AG und dem Land
Baden-Württemberg finanziert“ werde. Resch:
„Das Land hat damit den Kniefall vor der Lkw-Industrie dokumentiert.
Daimler hat‘s beschlossen, Daimler hat‘s erarbeitet, Daimler hat‘s
finanziert - und die eigentlich dem Gemeinwohl verpflichtete
Landesregierung verheimlicht der Öffentlichkeit die Ergebnisse.“
Allianz pro Schiene: Methodische Mängel der Gigaliner-Studie: Aussagekraft fraglich
Vor diesem Hintergrund kritisierte Allianz pro Schiene-Geschäftsführer
Dirk Flege „methodische Mängel und für den Lkw schöngerechnete Zahlen“
in der bereits bekannten Kurzfassung. Bei der Abschätzung, wieviel
Fracht von den klimaschonenden Güterbahnen auf die überlangen Lkw
abwandern könnte, seien
„wesentliche Gütergruppen ausgeblendet worden“. Flege: „Obwohl
‚Metalle und Metallerzeugnisse‘ bei den bisherigen Praxiseinsätzen der
Gigaliner die größte identifizierte Warengruppe darstellten, haben die
Autoren der Studie unterstellt, dass in diesem
Marktsegment keine Güter von der Bahn abwandern würden.“ Auch
hätten die Autoren die Abwärtsspirale bei den Güterbahnen nicht
berücksichtigt, sollten einzelne Transporte auf den Lkw verlagert
werden. Wegen des hohen Fixkostenanteils wird bei Wegfall weniger
Waggons häufig der ganze Zug eingestellt“, so der Geschäftsführer des
gemeinnützigen Verkehrsbündnisses.
BUND: Prognostizierte Klimavorteile von Lang-Lkw nicht nachweisbar
„Obwohl die Grundannahmen zu Gunsten der Lang-Lkw gesetzt wurden, liefert die Studie für den Gigaliner nicht
den erwünschten Rückenwind“, urteilt der Leiter Verkehrspolitik des BUND,
Werner Reh. Laut Daimler-Studie würden die Treibhausgase im Verkehr durch die Lang-Lkw nur um 0,1 Prozent verringert. Reh:
„Klimapolitisch sind Gigaliner selbst unter den von der Industrie
gesetzten Prämissen ein Flop. In Wahrheit wird der CO2-Ausstoß durch die
Gigaliner sogar zunehmen, wenn man realistisch annimmt, dass künftig
auch internationale Verkehre zugelassen werden
und massiver Druck auf die Erhöhung der Gewichte gemacht wird.“
ACV: Riesen-Lkw: Gefahren für die Verkehrssicherheit bleiben
Auch für die Verkehrssicherheit seien Gigaliner eine Gefahr, warnt der ACV (Automobil-Club Verkehr). Geschäftsführer
Horst Metzler: „Unsere Sicherheitsbedenken werden durch die
Daimler-Studie nicht entkräftet. Die Überholvorgänge dauern länger,
Nothaltebuchten in Tunneln sind zu kurz, die Bahnübergänge sind nicht
auf längere Lkw ausgelegt und auch die Kreisverkehre
sind zu klein. Außerdem zeigt der Blick in europäische Nachbarländer,
dass nach Einführung längerer Lkw sehr schnell auch die Gewichtsgrenze
fällt, die derzeit noch bei 40 Tonnen liegt. In Deutschland sind
Leitplanken, Straßenbelag und Brücken jedoch nicht
für 60-Tonnen-Ungetüme ausgelegt, wie sie bereits in den Niederlanden
und Skandinavien fahren.“ Wohin die Reise gehen wird, zeigt die
Studie, die für 2030 mit einer Zulassung der Gigaliner auf allen
Autobahnen und Bundesstraßen rechne.
Bürgerplattform sammelt Unterschriften gegen Riesen-Lkw
Die vier Verbände appellierten an die Bevölkerung, den Landesverkehrsministern
„die Rote Karte für den Gigaliner-Einsatz zu zeigen“. Riesen-Lkw
dürfen in Deutschland nur auf einem vom Bundesverkehrsministerium
definierten Teil des Straßennetzes in Deutschland fahren, welchen die
Länderverkehrsminister dem Bund zuvor gemeldet haben.
Die Allianz pro Schiene und die Umweltverbände BUND und DUH haben dafür
eigens eine Internetseite (www.keine-gigaliner.de)
eingerichtet, von der Protestmails an die Landesverkehrsminister
verschickt werden können.
Der ACV unterstützt als Partner die Aktion. Auch ist beim
Verwaltungsgericht Berlin eine Klage der Allianz pro Schiene, des BUND
und der DUH anhängig, mit der der Regelbetrieb der Gigaliner juristisch
gestoppt werden soll.
Weitere Informationen:
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Verbände richten Protest-Plattform für Bürger ein
Allianz pro Schiene, BUND und Deutsche Umwelthilfe (DUH) haben unter
www.keine-gigaliner.de eine
Online-Plattform eingerichtet, auf der Bürgerinnen und Bürger ihren
Protest gegen das immer weiter wachsende Netz für Riesen-Lkw direkt an
die zuständigen Behörden bei Bund und Ländern
adressieren können. „Die überwiegende Mehrheit der Deutschen lehnt
diese Fahrzeuge ab. Dies müssen die zuständigen Ministerien endlich
berücksichtigen“, teilten die Verbände mit und riefen alle Bürger auf, „Nein zum Gigaliner“ zu sagen.
Links:
Protest-Plattform:
www.keine-gigaliner.de
Hintergrundpapier zu Gigalinern:
http://l.duh.de/p170925
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