13. Dezember 2017

FACHVERBÄNDE LEHNEN UNIONSVORSCHLÄGE ZUR „ALTERSFESTSTELLUNG“ AB


Stellungnahme vom 13. Dezember 2017

Eine präzise Feststellung des Alters ist medizinisch nicht möglich

Verschiedene UnionspolitikerInnen fordern die „medizinische
Altersfeststellung“ bei unbegleiteten jungen Flüchtlingen gesetzlich
vorzuschreiben (Link: http://(1) ). Der Bundesverband
unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, das Deutsche Kinderhilfswerk und
die Ärzteorganisation IPPNW lehnen diese Vorschläge als Symbolpolitik
und gefährliche Stimmungsmache ab.

Die Medizin ist nicht in der Lage, das Alter „festzustellen“.
ExpertInnen sind sich einig, dass nur eine grobe Schätzung mit einer
Streubreite von mehreren Jahren möglich ist. Der Beweis, dass eine Person
volljährig ist, lässt sich auch durch bildgebende Verfahren nicht mit
der geforderten „an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit“
erbringen. In der Praxis besteht daher ein erhebliches Risiko, dass
Minderjährige durch die fehleranfällige Altersdiagnostik fälschlich zu
Erwachsenen erklärt werden.

Der Gesetzgeber hat bereits vor zwei Jahren ein Gesetz beschlossen,
welches das Verfahren zur Alterseinschätzung im Rahmen der Jugendhilfe in
§ 42f SGB VIII abschließend regelt (Gesetz zur Verbesserung der
Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und
Jugendlicher, BGBl. I. 2015, S. 1802). Die ärztliche Untersuchung zur
Einschätzung des Alters ist hier als ultima ratio gesetzlich
festgeschrieben. Vorrang haben die Auswertung vorliegender
Identitätsdokumente und die professionelle Inaugenscheinnahme
pädagogisch geschulter Fachkräfte des Trägers der öffentlichen
Jugendhilfe. Dies entspricht kinderrechtlichen sowie europäischen und
völkerrechtlichen Vorgaben, zumal medizinische Verfahren in die
körperliche und seelische Integrität des Betroffenen eingreifen und kein
verlässliches Ergebnis gewährleisten.

Die Zentrale Ethikkommission bei der Bundesärztekammer (Link:
http://www.zentrale-ethikkommission.de/downloads/Altersschaetzung2016.pdf
) hat im September 2016 empfohlen, bis auf weiteres Röntgen- und
Genitaluntersuchungen zum Zwecke der Altersschätzung abzulehnen, ebenso
die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin (Link:
https://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Soziale_Verantwortung/Best_Practice_Refugees_2016.pdf
). Die European Academy of Pediatrics (Link:
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/26385241 ) empfiehlt seit 2015 allen
Kinder- und Jugendärzten dringend, „nicht am Prozess der
Alters­festsetzung von Asylbewerbern teilzunehmen, die angeben
minderjährig zu sein“, und „diese Auffassung an alle anderen Ärzte
weiterzugeben.“

Auch auf europäischer sowie internationaler Ebene werden medizinische
Verfahren zur Einschätzung des Alters aufgrund ihrer Ungenauigkeit und
ihres Eingriffscharakters abgelehnt und der Grundsatz „Im Zweifel für
die Minderjährigkeit“ betont. Gerade aktuell hat sich der Europarat
sowie der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes gemeinsam mit dem
UN-Ausschuss zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer
Familienangehörigen mit dieser Frage beschäftigt und dies erneut
bekräftigt. Vorrangig ist deshalb bei der Ermittlung des Alters ein
„interdisziplinärer und ganzheitlicher Ansatz“.

Daher lehnen wir jede weitere gesetzliche Festschreibung der medizinischen
Altersdiagnostik ab. Diese kann nichts zur Klärung des tatsächlichen
Alters junger Flüchtlinge beitragen, geschweige denn zur Prävention von
Gewaltverbrechen, wenn auch die Forderung in diesem Kontext immer wieder
reflexartig erhoben wird.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Related Posts Plugin for WordPress, Blogger...