13. Dezember 2015

FUKUSHIMA-NEWSLETTER VOM 11.12.2015


Sehr geehrte Damen und Herren,

angesichts der andauernden Atomkatastrophe in Fukushima mit den
mittlerweile zur Routine verkommenen Meldungen neuer radioaktiver Lecks,
Verseuchung von Grundwasser und den im Dreimonatstakt veröffentlichten
Zahlen kindlicher Schilddrüsenkrebsfälle ist es nicht nachvollziehbar,
dass die Atomindustrie mit tatkräftiger Unterstützung der Politik und
Medien in Japan derzeit wieder Atomreaktoren hochfährt. Dies ist umso
unverständlicher, wenn man die Alternativen betrachtet, die Japan in Form
erneuerbarer Energiequellen zur Verfügung stehen. Wenigen ist bewusst,
dass der Industriestaat Japan seine Stromversorgung vollständig auf
erneuerbare Energien umstellen könnte – wenn der politische Wille da
wäre. In einem Hintergrundartikel beleuchten wir daher diesen Monat die
Potenziale für eine Energiewende hin zu erneuerbaren Energien in Japan.

Zudem analysieren wir die neuen Daten der Schilddrüsenstudien und
versuchen, etwas Licht in die verwirrenden Zahlen zu werfen, die die
Fukushima Medical University Ende November präsentiert hat. Auch kommen
wir aus gegebenem Anlass erneut auf ein Thema zurück, von dem wir bereits
im Februar diesen Jahres berichtet haben. Damals analysierten wir die
Freisetzungsmengen und Bodenkontaminationen von Strontium-90 in Fukushima.
Inzwischen liegen Informationen darüber vor, dass überraschend hohe
Konzentrationen von Stronium-90 in den Zähnen und Knochen von Rindern
gemessen wurden – ein Hinweis, dass neben der Kontamination mit
radioaktivem Cäsium das stark knochengängige Strontium-90 eine weitere
ernstzunehmende Gefahr für die öffentliche Gesundheit in den
verstrahlten Gebieten darstellt.

Insbesondere vor diesem Hintergrund stellt sich für die japanische
Gesellschaft die heikle Frage, wie mit den großen Mengen an radioaktiv
kontaminierten Abfällen umzugehen ist, die sich seit Beginn der
Atomkatastrophen anhäufen. Die Regierung stellt die Sicherheit der
derzeitigen Zwischenlager in Frage, während Anwohner von geplanten
Entsorgungsstandorten Widerstand leisten.

In unserem letzten Fukushima-Newsletter in diesem Jahr haben wir all diese
brisanten Themen für Sie aufgearbeitet und hoffen, Sie auch im kommenden
Jahr als Leser dieses Newsletters mit relevanten Informationen, Analysen
und Hintergrundberichten versorgen zu können. An dieser Stelle laden wir
Sie herzlich zu unserem internationalen Kongress "30 Jahre leben mit
Tschernobyl – 5 Jahre leben mit Fukushima" vom 26.-28. Februar 2016 in
Berlin ein (www.tschernobylkongress.de (Link:
http://www.tschernobylkongress.de/ )). Ihnen und Ihren Lieben wünschen
wir friedliche, gesunde und sichere Feiertage. Vielleicht sieht man sich
im nächsten Jahr in Berlin wieder...

Mit freundlichen Grüßen
Henrik Paulitz und Dr. Alex Rosen



----------------------------------------------------------------------------
POTENZIALE ERNEUERBARER ENERGIEN IN JAPAN
----------------------------------------------------------------------------

Nach Fukushima wurden in Japan nach und nach alle Atomkraftwerke vom Netz
genommen, ohne dass sich eine Stromlücke auftat. Derzeit ist lediglich
einer von zuletzt 54 Atomreaktoren wieder am Netz. Eindrucksvoller lässt
sich kaum demonstrieren, wie verzichtbar die Atomenergie selbst in einem
Industriestaat wie Japan ist. Um die Importe überteuerter konventioneller
Energieträger zu reduzieren, stellt sich die Frage nach dem Potenzial
erneuerbarer Energien in Japan - einem Inselstaat mit viel Wind, viel
Sonne und guten Möglichkeiten für die Nutzung der Geothermie und der
Wasserkraft. Diverse Potenzialstudien zeigen vielfältige Möglichkeiten
der Selbstversorgung mit erneuerbaren Energien in Japan. Einige Studien
fokussieren auf den Ausbau der Offshore-Windenergie in Konzernhand, andere
untersuchen die Chancen der Nutzung erneuerbarer Energien „in
Bürgerhand“. Es stellt sich in Japan also unter anderem auch die Frage,
ob Großkonzerne oder ob Bürger/innen, Kommunen und kleinere Unternehmen
von der Energiewende profitieren.
Weiterlesen:
Henrik Paulitz: Potenziale erneuerbarer Energien in Japan
(Link:
http://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Info/Potenziale_erneuerbarer_Energien_in_Japan.pdf
)


IMAGES:
http://news.ippnw.de/uploads/pics/windpark_hokkaido.jpg

----------------------------------------------------------------------------
JEDEN MONAT NEUE SCHILDDRÜSENKREBSFÄLLE
----------------------------------------------------------------------------

Am 30. November 2015 veröffentlichte die Fukushima Medical University die
neuesten Daten der Schilddrüsenuntersuchungen an Kindern in der
Präfektur Fukushima. Diese bestehen aus zwei getrennten Teilen: einer
sogenannten Baseline-Studie (“baseline screening”) und einer
Hauptuntersuchung (“full scale examination”). Es zeigt sich, dass die
Zahl der Schilddrüsenkrebsfälle beständig zunimmt. Inzwischen sind es
115 gesicherte, operierte, aggressive Schilddrüsenkarzinome - davon 100
im Erstscreening und 15, die sich in den letzten zwei Jahren neu gebildet
haben.
Weiterlesen:
Dr. Alex Rosen: Jeden Monat neue Schilddrüsenkrebsfälle
(Link:
http://www.fukushima-disaster.de/deutsche-information/hintergrundinfo-strahlung/artikel/01e768df77e7c2b03d979746ef3c7858/jeden-monat-neue-schilddruesenkrebsf.html
)


IMAGES:
http://news.ippnw.de/uploads/pics/Test-small_04.jpg

----------------------------------------------------------------------------
HOHE STRONTIUM-KONZENTRATIONEN IN ZÄHNEN UND KNOCHEN
----------------------------------------------------------------------------

Strontium-90 zählt als „knochensuchendes“ radioaktives Isotop, als
reiner Betastrahler und mit seiner Halbwertszeit von 28,8 Jahren zu den
gefährlichsten Emissionen bei Atomkatastrophen. Es wird vom Körper,
ähnlich wie Kalzium, in Knochen eingebaut und kann dort das empfindliche
Knochenmark schädigen und Leukämien verursachen. Das nur schwer messbare
Isotop ist, wie eine Doktorarbeit der Tohoku-Universität Sendai zeigt,
nicht nur in Bodenproben der verstrahlten Regionen nachweisbar, sondern
auch in Zähnen und Knochen junger Rinder aus den Evakuierungsgebieten
rund um das havarierte Atomkraftwerk Fukushima - in Konzentrationen von
rund 150 Becquerel Strontrium-90 pro Kilogramm.
Erschreckend ist vor allem, dass es sich dabei um Rinder aus Gebieten mit
einer vergleichsweise geringen Ortsdosisleistung handelt. Das
Strontium-90-Problem könnte weitaus größer sein als bisher dargestellt,
zumal Strontium von Kulturpflanzen leichter aufgenommen werden kann als
Cäsium und in einigen der untersuchten Proben die
Strontium-Konzentrationen bereits höher waren als die von Cäsium. Mehr
(Link:
http://www.fukushima-disaster.de/deutsche-information/hintergrundinfo-strahlung/artikel/d366eb1ac222fdf5a8bd1b13ef0fbaa1/hohe-strontium-konzentrationen-in-z.html
)
Weiterlesen:
Strahlentelex: Hohe Strontium-Konzentrationen in Zähnen und Knochen
(Link: http://www.strahlentelex.de/Stx_15_694-695_S17-18.pdf
)Henrik Paulitz: Strontium-Freisetzungen aus Fukushima  (Link:
http://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Info/Strontium-Freisetzungen_aus_Fukushima.pdf
)


IMAGES:
http://news.ippnw.de/uploads/pics/Geigerzaehler_IAEO.jpg

----------------------------------------------------------------------------
STREIT ÜBER DEKONTAMINATIONS-MÜLL IN JAPAN
----------------------------------------------------------------------------

In Japan gibt es weiterhin großen Widerstand gegen die Regierungspläne
zur Lagerung von kontaminiertem Müll. Insgesamt geht es um rund 166.000
Tonnen Kontaminationsmüll, Verbrennungsrückstände und radioaktives
Reisstroh, die sich in Zwischenlagern in 12 Präfekturen angehäuft haben
und  mit mehr als 8.000 Becquerel pro Kilogramm kontaminiert sind.
Die Regierung hat Pläne für den Bau von sogenannten "Entsorgungsanlagen",
also permanenten Lagerstätten für radioaktivem Müll, in den
Präfekturen Miyagi, Ibaraki, Tochigi, Gunma und Chiba entwickelt, die
aber wegen der starken Widerstände vor Ort bislang nicht umgesetzt werden
können. In Kami in der Präfektur Miyagi beispielsweise haben Bürger den
Umweltminister daran gehindert, die geplante Baustelle für eine
Entsorgungsanlage zu betreten. Es wird argumentiert, dass der
erdrutschgefährdete Standort für eine solche Anlage ungeeignet sei. Auch
sei ungeklärt, wer letztendlich die Verantwortung für alles übernehme.
Das Umweltministerium hat es nach zahlreichen Fehlschlägen inzwischen
aufgegeben, zu versuchen, das Gelände zu betreten. Beamte haben den
Bewohnern allerdings mitgeteilt, dass es notwendig sei, die Anlage
schnellstmöglich in Betrieb zu nehmen, da die benachbarten
Zwischenlagerstandorte nur als Notfallmaßnahme gewählt worden waren. Ein
Wirbelsturm, eine Flut oder andere Naturkatastrophen könnten jederzeit
den unzureichend gesicherten Strahlenmüll mitreißen. Im Herbst hatten
Überflutungen bereits zahlreiche Mülldeponien mitgerissen und so die
radioaktive Verseuchung der Flüsse drastisch erhöht.
Weiterlesen:
Radioactive waste mounts up as residents resist post-Fukushima disposal
plans
(Link:
http://ajw.asahi.com/article/0311disaster/fukushima/AJ201511240005
)Strahlenmüll von Überflutungen mitgerissen, Fukushima-Newsletter vom
11. Oktober 2015
(Link: http://news.ippnw.de/index.php?id=942#c3280 )


IMAGES:
http://news.ippnw.de/uploads/pics/bodenproben_IAEA.jpg

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Related Posts Plugin for WordPress, Blogger...