4. Juni 2013

Rezension: EIN LIEDERABEND NACH FRANZ KAFKA MIT MUSIK VON WOLFGANG VON SCHWEINITZ, 13.01.2012 auf Kampnagel

EIN LIEDERABEND NACH FRANZ KAFKA MIT MUSIK VON WOLFGANG VON SCHWEINITZ

Seit 1997 erarbeitet opera silens kontinuierlich grenzgängerisches Musiktheater in Hamburg und lotet die Grenzen des Mediums aus: Mit Arbeiten zu Erik Satie, zur Barockoper oder, wie im vergangenen Jahr, mit dem Tourette-Musiktheater NEUROVISIONS. Jetzt beschäftigt sich opera silens mit Franz Kafkas Erzählung „Josefine, die Sängerin oder das Volk der Mäuse“ und arbeitet mit dem Komponisten Wolfgang von Schweinitz und der in Israel lebenden Sängerin Josefine Kaum zusammen. Die war einst Sänger-Wunderkind in Prag, musste sich infolge einer Erbkrankheit vor einigen Jahren in Haifa mit Mäusegenen therapieren lassen und tritt seitdem nur sehr selten auf. Doch die Kritiker schwärmen ungebrochen von ihrem Timbre, „das mit menschlichen Maßstäben nicht mehr zu beschreiben“ sei.

GESANG Josefine Kaum
VIOLONCELLO Agnieszka Dziubak
REGIE Hans-Jörg Kapp
DRAMATURGIE Mascha Wehrmann
JOSEFINE-COMBO Frauke Aulbert, Kurt und Ludwig-Christian Glockzin
BÜHNE UND KOSTÜME Marcel Weinand
PRODUKTION Thomas Schmölz

Eine Produktion von opera silens und Kampnagel Hamburg, gefördert durch die Hamburger Kulturbehörde und die Rudolf Augstein Stiftung. Mit freundlicher Unterstützung durch die Shure Distribution GmbH.

DAUER ca. 75 min.
 
Soweit die offizielle Vorankündigung...
 

 
Als ich die Vorstellung besuchte, dachte ich, es erwartet mich ein Liederabend mit Kafka-Texten interpretiert von einer Vier-Oktaven-Stimme.
Weit gefehlt! Es war ein Theaterabend, in dem der Kafka-Text "Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse" (http://www.textlog.de/32075.html) (Kafkas letzte Kurzgeschichte) performt wurde. Meine Flexibilität reichte allerdings nicht dazu, das Stück als solches zu geniessen. Ich erwartete mit zunehmender Spannung das Ende des kafkaesken Prologes und den Beginn des Liederabends. 75 Minuten lang, vergebens.
 
Nun erging es mir nicht als Einzigstem so, sondern Teile des 50-köpfigen Publikums, waren genauso sprachlos wie ich. In diversen Gesprächen mit anderen "gefoppten", entlarvten wir das Stück als Ironie, irgendwie auch als Anregung zur Diskussion des deutschen Ethikrates zum Auftrittsverbot der mit Mäusegenen therapierten Josefine. Nur was hat das mit Israel zu tun?
 
Ähhhm, meine Nachforschungen innerhalb Kampnagels ergaben, dass weder der Einlassdienst, noch die Informations-Dame mir weiterhelfen konnten. Sie hatten weder präsent, was in dem vor der Vorstellung gereichten Flyer stand, noch, was überhaupt auf der Bühne stattfand. Was arbeiten da eigentlich für Leute?
 
Fazit: Ich bin ja nun schon einiges gewöhnt, was Experimentelles/Avantgardistrisches angeht. Sei es Musik, bildende Kunst, Theater, Streetart, was auch immer. Aber das war mein Gipfel. Hier fühlte ich mich wie der Gefängniswärter, der in den Katakomben überlegt, wie er den Gefangenen klarmachen kann, dass er Wärter und nicht Gefangener ist.


Nun wähne ich mich in dem glücklichen Zustand in einer Reihe mit dem Publikum zu stehen, was irgendwann mal John Cages "4:33" gehört hat, oder im Kino den Sechs-Stunden-Film "Sleep" von Andy Warhol mit nur einem nackten, schlafenden Mann gesehen hat, oder auch in einer Galerie vor Robert Rauschenbergs  weissen Leinwänden stand.
 
 
Neu-Hamburger K-Karten-Besitzer Toberg für WideBlick
 
 
PS: Die Cello-Musik von Schweinitz war passend und hervorragend! Kampnagel gebührt für soviel Mut ein grosser Beifall, der den beteiligten Künstler_innen an diesem Abend zu un/recht verwehrt wurde. Und, das Publikum braucht doch nach so einer Vorstellung, jemand, der/die ihn aus dieser schwierigen Lage befreit. Jemand, der/die sich beschimpfen lässt, mit dem/der man diskutieren kann, der/die einen aufklärt, warum "Gesang" angekündigt wird und nicht gesungen wird!

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