Vom
holländischen Prüfinstitut TNO getesteter Mercedes überschreitet
Stickoxid-Grenzwert bei Straßentest ausgerechnet bei innerstädtisch
gefahrenen Geschwindigkeiten um das mehr als Zehnfache – Angesichts der
hohen NO2-Werte in Stuttgart und in anderen Städten fordert die DUH als
Sofortmaßnahme ein Einfahrtverbot für diesen Mercedes Diesel-Pkw in
Umweltzonen bei Außentemperaturen unter zehn
Grad Celsius
Berlin, 2.2.2016:
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat beim Kraftfahrt-Bundesamt einen
Antrag auf Widerruf
der Typgenehmigung bzw. eine Rückrufanordnung für alle bereits
zugelassenen Fahrzeuge des Modells C220 CDi BlueTec gestellt. Die
Umweltschutzorganisation fordert außerdem die von
Stickstoffdioxid-Überschreitungen betroffenen Städte und Bundesländer
sowie die
Bundesregierung zu Sofortmaßnahmen im Kampf gegen die Luftverschmutzung
auf. Halter der entsprechenden Mercedes-Fahrzeuge sollte die Einfahrt
in die Umweltzonen mit sofortiger Wirkung untersagt werden sobald die
Außentemperatur unter zehn Grad Celsius beträgt.
Das niederländische Umweltministerium hatte das TNO-Prüfinstitut mit
der Durchführung von Abgasuntersuchungen von insgesamt 16 Fahrzeugen im
Prüflabor bzw. auf der Straße beauftragt. Von allen Fahrzeugen zeigte
der Mercedes C 220 CDi BlueTec (Euro 6) die mit
Abstand schlechtesten Abgaswerte. In der Spitze wurden 2.250 mg NOx/km
gemessen – das heißt eine 28-fache Überschreitung des Grenzwerts, der
mit 80 mg/km festgelegt ist.
Besonders
erschreckend sind die gegenüber dem Grenzwert mehr als zehnfach
erhöhten NOx-Emissionen des Mercedes bei für den Stadtverkehr typischen
Geschwindigkeiten (TNO reference
trip ‘urban 0-60 km/h‘ mit 805 mg NOx/km bzw. ‘urban 0-45 km/h‘ mit 817
mg NOx/km). Die Straßentests führte TNO bei Außentemperaturen von
sieben bis zehn Grad Celsius durch, dies entspricht der für Mitteleuropa
typischen Jahresdurchschnittstemperatur. Dass
Euro 6 Dieselfahrzeuge unter vergleichbaren Temperaturen die Euro 6
NOx-Grenzwerte einhalten können, zeigt der durch TNO ebenfalls in diesen
Geschwindigkeitsbereichen und Temperaturen getestete BMW 530d mit 78 mg
NOx/km (TNO ‘urban 0-45 km/h‘).
„Wie
soll die für über 10.000 jährliche Todesfälle verantwortliche
NO2-Belastung der städtischen Atemluft sinken, wenn Mercedes Chef Dieter
Zetsche Euro-6 Diesel-Pkw verkauft,
deren Abgasreinigung 'zum Schutz des Motors' bei Außentemperaturen
unter zehn Grad Celsius faktisch abgeschaltet wird? Das ist vorsätzliche
Körperverletzung mit Todesfolge in vielen tausend Fällen. Gerade im
Winterhalbjahr leiden die Menschen besonders unter
den hohen Dieselgift-Konzentrationen in der Atemluft. Am meisten leiden
sie in Stuttgart, der schmutzigsten Stadt Deutschlands, was die
Dieselruß- und NO2-Werte betrifft“, sagt
Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH.
Nach
Auffassung der DUH verstößt der Mercedes C220 CDi gegen die
EU-Zulassungsvorschrift für Diesel-Pkw (VO 715/2007/EG), die eine
funktionierende Emissionsminderung „in normal
use“ verlangt. Tatsächlich erreicht der getestete Mercedes nicht einmal
die NOx- Grenzwerte für Euro 3 Diesel-Pkw.
TNO
weist an mehreren Stellen seines Berichts auf eine offensichtlich
vorhandene, für den Rollenprüfstand beziehungsweise den Realbetrieb auf
der Straße unterschiedliche „NOx
reduction strategy“ hin, die sich nach Auffassung der DUH nur durch
eine entsprechend programmierte Software erklären lässt.
„Mit
Stickstoffdioxid hochbelastete Städte sollten sofort die Einfahrt von
allen Daimler Diesel-Pkw bei Temperaturen von unter zehn Grad Celsius in
Umweltzonen untersagen,
es sei denn, die Daimler AG weist nach, dass die anderen Modelle auch
bei niedrigen Außentemperaturen eine funktionierende Abgasreinigung
haben“, fordert der Internationale Verkehrsexperte
Axel Friedrich. „Menschen haben ein Recht auf Schutz ihrer Gesundheit nicht nur bei hohen Außentemperaturen.“
Am
20.1.2016 räumte die Daimler AG gegenüber dem niederländischen
Fernsehsender NOS ein, bei niedrigen Temperaturen Schutzmaßnahmen für
die Emissionstechnik zu ergreifen und
erklärte, dass die Prüfbedingungen auf der Straße bei „bemerkenswert
niedrigen Temperaturen“ stattgefunden hätten.
Am
27.1.2016 befragte die DUH die Daimler AG, unterhalb welcher
Außentemperatur die Motorsoftware sogenannte
„emission-technic-protection-measurements“ ergreift und ob zur Steuerung
des Emissionsverhaltens die Signale der Außentemperatursensoren durch
die Motorsteuersoftware genutzt werden. Am 28.1.2016 antwortete die
Daimler AG und bezweifelte nicht die Richtigkeit der TNO-Messwerte bzw.
deren Aussagen. Zitat:
„Die Messergebnisse wurden von Vertretern der Daimler AG mit der TNO
diskutiert und von den dortigen Experten als plausibel eingestuft. (…)
Die Berücksichtigung der Außentemperatur und anderer Daten ist
entscheidend, um den sicheren Bauteilschutz am Motor
über die gesamte Laufzeit zu gewährleisten.“
Diese
gewählte Formulierung entspricht der Formulierung der zulässigen
Ausnahme des Verbots der Verwendung einer Abschalteinrichtung (‚defeat
device‘) in der Zulassungsverordnung.
Das durch TNO festgestellte und dokumentierte auffällige
Emissionsverhalten des Mercedes C 220 CDi in Verbindung mit dem
Einräumen von „emission-technic-protection-measurements“ und dem Hinweis
„Die Berücksichtigung der Außentemperatur und anderer Daten ist
entscheidend, um den sicheren Bauteilschutz am Motor über die gesamte
Laufzeit zu gewährleisten“ sind für die DUH nicht anders zu verstehen, als dass Daimler eine Abschalteinrichtung („defeat
device“) einräumt, aber deren Rechtmäßigkeit (Hinweis auf Bauteileschutz) behauptet.
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