EU-Maßnahmen gegen Nahrungsmittelspekulation weitgehend wirkungslos -
Finanzindustrie setzt entscheidende Ausnahmeregeln durch - Oxfam und foodwatch
fordern wirksame Regulierung der Finanzmärkte
Berlin, 5. Juni
2013. Die Vorschläge der Europäischen Union zur Eindämmung der
Nahrungsmittelspekulation sind weitgehend wirkungslos. Das hat eine Analyse der
Entwicklungsorganisation Oxfam und der Verbraucherorganisation foodwatch
gezeigt. Der EU-Richtlinienentwurf zur Regulierung der Finanzmärkte
(MiFID-Richtlinie) enthält zahlreiche Ausnahmeregeln, durch die die Maßnahmen,
mit denen exzessive Spekulationsgeschäfte mit Nahrungsmitteln verhindert werden
sollen, unwirksam werden.
"Die mächtige Finanz- und Wirtschaftslobby
hat in Brüssel ganze Arbeit geleistet, um die Regulierung der Finanzmärkte zu
torpedieren", erklärte David Hachfeld von Oxfam Deutschland. "Der
Finanzindustrie ist es gelungen, entscheidende Schlupflöcher in die
Finanzmarkt-Richtlinie einzubauen. Damit gehen die Spekulationsgeschäfte auf
Kosten der Ärmsten munter weiter", so foodwatch-Geschäftsführer Thilo Bode.
Oxfam und foodwatch forderten die EU-Finanzminister auf, effektive
Maßnahmen gegen die Wettgeschäfte auf Agrar-Rohstoffpreise zu ergreifen -
insbesondere durch die Einführung umfassender "Positionslimits" ohne
Ausnahmeregeln. Damit würde die Zahl der zu rein spekulativen Zwecken
abgeschlossenen Warenterminverträge auf Agrar-Rohstoffe begrenzt. Eine besondere
Verantwortung sehen beide Organisationen bei Bundesfinanzminister Wolfgang
Schäuble. Er vertritt nicht nur das EU-Mitgliedsland mit der größten
Wirtschaftskraft, sondern auch jenes, in dem mit Deutscher Bank und Allianz zwei
der weltweit größten Nahrungsmittelspekulanten ihren Sitz haben. Wolfgang
Schäuble müsse beweisen, dass die Gewinn-Interessen der deutschen Finanz- und
Energiekonzerne nicht über dem Wohl von Millionen von Armut und Hunger bedrohten
Menschen stünden, so Oxfam und foodwatch.
Die EU-Beratungen über die
umfassende MiFID-Richtlinie zur Regulierung der Finanzmärkte gehen aktuell in
die entscheidende Phase. Der Gesetzentwurf, über den demnächst die europäischen
Finanzminister verhandeln, beinhaltet zwar die Einführung von Positionslimits -
allerdings auch zahlreiche Ausnahmeregeln und Schlupflöcher. Hier drei
Beispiele:
"Schlupfloch" 1: Außerhalb der Börsen darf unbekümmert
weiter spekuliert werden
Spekulationsgeschäfte mit Agrar-Rohstoffen
finden nicht nur an Börsen und anderen regulierten Handelsplätzen statt, sondern
auch in dem bisher weitgehend unregulierten sogenannten over-the-counter-Handel
(OTC-Handel). Entscheidend ist daher, dass Positionslimits für den gesamten
Handel gelten - unabhängig von der Handelsplattform. Dies ist in der
MiFID-Richtlinie jedoch nicht eindeutig formuliert.
"Schlupfloch" 2:
Individuelle Positionslimits für einzelne Händler sind nicht effektiv
Die MiFID-Richtlinie sieht Positionslimits bisher nur für einzelne
Händler vor. Zu Preisstörungen kann es jedoch auch kommen, wenn mehrere kleinere
Spekulanten mit identischen oder ähnlichen Strategien handeln. So könnte etwa
die Deutsche Bank Positionslimits ganz einfach umgehen, indem sie ihre
verschiedenen Investmentgesellschaften und deren Rohstofffonds als separate
Händler mit jeweils einem eigenen Limit betrachtet. Die Forderung von Oxfam und
foodwatch: Unternehmen, die vollständig oder zu einem relevanten Anteil zum
selben Konzern gehören, müssen einem konzernübergreifenden Positionslimit
unterliegen ("aggregierte Positionslimits").
"Schlupfloch" 3:
Kritische Ausnahme für Spekulanten
Der aktuelle EU-Richtlinienvorschlag
enthält weitreichende Ausnahmen für Transaktionen, "die objektiv messbar direkt
mit der Geschäftstätigkeit oder dem Liquiditäts- und Finanzmanagement" von
Unternehmen zusammenhängen. Eine genaue Abgrenzung zwischen dem "Liquiditäts-
und Finanzmanagement" von Unternehmen und rein spekulativen Geschäften ist
jedoch schwierig. Große Konzerne wie Glencore oder Cargill, die eigentlich
physisch mit Rohstoffen handeln, benutzen die Warenterminmärkte bereits heute
nicht mehr nur zur Absicherung realer Risiken, sondern auch für spekulative
Zwecke mit dem Ziel, aus den erhöhten Preisschwankungen zusätzliche Gewinne zu
erzielen. Die MiFID-Richtlinie ermöglicht, dass Händler alle möglichen
Aktivitäten als Liquiditäts- und Finanzmanagement deklarieren können - und damit
die Positionslimits problemlos umgehen. Oxfam und foodwatch fordern daher, dass
Ausnahmen nicht generell für das Liquiditäts- und Finanzmanagement gelten
dürfen, sondern eng auf Transaktionen beschränkt bleiben müssen, bei der ein
Beleg für ein konkretes Rohstoffgeschäft erbracht werden kann.
David
Hachfeld und Thilo Bode forderten ein entschiedenes Vorgehen der Europäischen
Union: "Hunger hat viele Ursachen. Doch Hunger durch
Nahrungsmittelspekulationen ist menschengemacht - diesen unverantwortlichen
Geschäften muss Einhalt geboten werden. Die USA verschärfen Positionslimits,
auch Finanzplätze wie Japan, Hongkong oder Singapur wenden dieses wirkungsvolle
Instrument bereits an. Die EU muss jetzt endlich nachziehen, um die schlimmsten
Exzesse im globalen Rohstoff-Kasino zu beenden."
Nachdem die
Europäische Kommission im Oktober 2011 ihre Vorstellungen zur
Finanzmarktrichtlinie vorgestellt hat und das Europäische Parlament sich in
erster Lesung positioniert hat, liegt nun der Ball beim Rat der
EU-Finanzminister. Sobald die Position des Ministerrats vorliegt, verhandeln das
Parlament, der Ministerrat und die Kommission über einen gemeinsamen Vorschlag.
Der ursprüngliche Zeitrahmen sah eine Verabschiedung im Herbst 2012 vor. Ob noch
vor der Sommerpause 2013 ein Beschluss stehen wird, ist unklar.
Links:
- E-Mail-Protestaktion von foodwatch an
Bundesfinanzminister Schäuble für eine wirksame Eindämmung der
Agrar-Spekulation: www.foodwatch.de/wahnsinn-stoppen
- Mitmach-Aktion von Oxfam gegen die Spekulation mit Nahrungsmitteln: www.oxfam.de/gegenspekulation
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