24. Dezember 2017

Giftschlammgrube Brüchau: Es geht nicht mit rechten Dingen zu!



Unter der Überschrift „Kalbes Geduld in Sachen Giftmüllgrube ist am Ende“ berichtet  heute die Volksstimme in ihrer Zentralausgabe über den Offenen Brief des Stadtrates von Kalbe an Wirtschaftsminister Willingmann mit dem Betreff „Bohrschlammdeponie Brüchau (Altmark)“, https://www.volksstimme.de/sachsen-anhalt/bohrschlammdeponie-kalbe-am-ende-der-geduld


Wir nehmen das zum Anlass für einige Klarstellungen:

1.) Bei der Grube in Brüchau handelt es sich nicht um eine „Deponie“, sondern um eine „Anlage zur Ablagerung bergbaulicher Abfälle im Sinne von § 22a der Allgemeinen Bundesbergverordnung“, wie die Landesregierung in der Vorbemerkung ihrer Antwort auf die KA von MdL Frederking (Drucksache 6/4392 17.09.2015) selber klarstellt. Da die giftigen Abfälle nicht nur aus der Erdgasförderung Bergbau, sondern auch aus der Industrie stammen, bezeichnen Begriffe wie „Giftschlammgrube“ oder „Giftmüllgrube“ den Sachverhalt zutreffend. Der Begriff „Deponie“ stellt eine unangebrachte Aufwertung dar.

2.) Die Aussage des Sprechers des Wirtschaftsministeriums Matthias Stoffregen „Nach allen vorliegenden Untersuchungen gehe von der Deponie keine Gefahr für die Bevölkerung oder Umwelt aus“ ist falsch. Einige (wenige) Beispiele aus den Untersuchungen:


l  Staatliches Amt für Umweltschutz, Magdeburg, 13.09.2000:

„Das Grundwasser in Deponie nahen Bohrungen (besonders stark T2, T5) ist in seiner chemischen Beschaffenheit durch die Deponie beeinflusst.“

l  Im Jahr 2000 wurde in einem Brüchauer Hausbrunnen ein Wert des gefährlichen
(krebserregenden) Radium-226 gemessen, der den vom Bundesamt für Strahlenschutz 2009 ermittelten Hintergrundwert für Grundwässer von Trinkwasserversorgern im Altmarkkreises Salzwedel um das 7fache übersteigt. (Radium-228 übersteigt ihn um das 12fache). Der von der EEG – Erdgas Erdöl GmbH (Rechtsnachfolger ENGIE E&P Deutschland) beauftragte Gutachter schrieb zu den Sickerwasserausträgen: „In diese Deponie wurden auch radiumhaltige Schlämme (Scalerückstände) eingelagert“. Weiter schreibt der Gutachter: „Die festgestellte Kontamination des Grundwassers wurde bisher auf den Austrag von gelöstem Radium aus der Deponie Brüchau zurückgeführt. Diese Herkunft des Radiums ist nahe liegend, … da die festgestellten Kontaminationen sehr klar an Sickerwasserausträge der Deponie gebunden sind“. Bewertung dieser Gutachten durch Dipl.-Ing. (FH) Bernd Ebeling: „Der Wirkungspfad Boden (gemeint ist die Giftschlammgrube Brüchau) – Grundwasser ist aktiv. Giftige Sickerwässer aus der Giftschlammgrube durchdringen die angeblich abdichtende Mergelschicht und gelangen in das Grundwasser. Das belastete Grundwasser strömt u. a. in Richtung der Hausbrunnen in Brüchau, welche sich in Nutzung befinden.“

l  EEG Erdgas Erdöl GmbH
Aufgabenstellung für weiterführende Untersuchungen zur Aktualisierung der Gefährdungsabschätzung der Obertagedeponie Brüchau (26.06.2001)

„Seit 1998 werden zusätzlich radiologische Untersuchungen durchgeführt. Im Zuge dieser Kontrolluntersuchungen sind permanente Beeinflussungen der Grundwasserbeschaffenheit im unmittelbaren Abflussbereich der Deponie nachgewiesen worden.“

l  Altmarkkreis Salzwedel (AMK) an Landesamt für Geologie und Bergwesen (LAGB) 12.02.2003

Stellungnahme zum Jahresbericht 2001
Auswertung der Kontrollergebnisse Obertagedeponie Brüchau, auch im Hinblick auf den zu erstellenden Sonderbetriebsplan

In allen drei deponienahen Abstrommessstellen T1, T2 und T5 ist im unteren Grundwasserstockwerk die Trinkwasserrichtdosis von 0,1 mSv/a überschritten. In der Messstelle T5 übersteigt die gemessene Dosis den Prüfwert von 0,5 mSv/a für die Gruppe der Säuglinge. Damit ist eine Exposition des Grundwassers am Standort hinreichend nachgewiesen.“



l  EEG – Erdgas Erdöl GmbH Aktualisierung der Gefährdungsabschätzung der Obertagedeponioe Brüchau – Abschlussbericht vom 17.03.2006  (fugro):

„Durch Versickerung von Überstandswasser und Sickerwasser durch das eingelagerte Inputmaterial und den unterlagernden Mergel findet ein Austrag aus der Deponie in die unterlagernden Sedimente und den bei ca. 18,5 m u. GOK anstehenden Grundwasserleiter statt. Der Wirkungspfad Boden – Grundwasser ist bei der Deponie Brüchau aktiv.“



l  Altmarkkreis Salzwedel an LAGB 26.03.2009

Stellungnahme zur Aktualisierung der Gefährdungsabschätzung Phase III
Deponie Brüchau

Der Gutachter kommt im Abschlussbericht Phase III zu dem Schluss, dass ein Weiterbetrieb der OTD Brüchau ohne Gefahr für die Umwelt möglich ist, da
- von der OTD derzeit keine Gefahr für das Grundwasser ausgeht                                                     
- der Wirkungspfad Boden-Grundwasser nicht aktiv ist und
- Grundwassernutzungen im Umfeld nicht gefährdet sind und
- weitere Untersuchungen und Maßnahmen zur Grundwasser-Beweissicherung und – Sanierung nicht erforderlich sind.

Dem Tenor des Gutachters wird seitens des Altmarkkreises Salzwedel als untere Wasser- und Bodenschutzbehörde nicht gefolgt, da eine Gefährdung für das Grundwasser durch den Betrieb der Deponie bereits gegeben ist.

Eindeutig sind am Standort Belastungen des Grundwassers mit bergbauspezifischen Parametern (Cl, Li, Str, Ba) belegt, die auf eine deponiebürtige Belastung hinweisen, da sie mit dem Input der OTD korrelieren.“



l  LAGB-Präsident Schnieber im MDR-Fernseh-Beitrag von Heidi Mühlenberg (2016):

Wir haben hier eine Entsorgungseinrichtung, wo Schadstoffe ins Grundwasser eintreten. Die andere Geschichte ist, wie wir diese punktuellen Überschreitungen bewerten: Wäre jetzt hier ein Brunnen, der genutzt würde als Trinkwasserbrunnen oder auch nur als Brauchwasserbrunnen, dann würden wir die Sache anders einschätzen als wenn hier eben keiner ist.“



3.) Herr Stoffregen/Wirtschaftsministerium gibt nicht einmal die Ausdrucksweise der (meist in sich widersprüchlichen)  Gutachten korrekt wieder. Diese lautet nämlich, dass „derzeit“ keine Gefahren ausgehen würden. - Hieraus ergeben sich die Fragen:

l  Wie lang ist „derzeit“?

l  Woran merkt man, wann „derzeit“ vorbei ist?

l  Merkt man es daran, dass das Grundwasser irreversibel kontaminiert ist, zur Beregnung der Äcker nicht mehr verwendet werden darf und die Landwirte ihren Betrieb einstellen müssen?


4.) Die Falschaussage von Herrn Stoffregen steht allerdings nicht allein. Weitere Täuschungsversuche, Faktenbeugungen und Intransparenzen sind kennzeichnend für die Vorgänge im Kontext der Grube Brüchau:

l  Auf die Frage von MdL Frederking (2015) nach dem Inhalt der Grube antwortete die Landesregierung mit einer Liste von Stoffen, hierunter 250 Tonnen metallisches Quecksilber. Bei ihrer Akteneinsicht fand die Bürgerinitiative heraus, dass diese Liste nicht aktuell war, sondern aus dem Jahr 1990 stammte und somit nur die ersten 18 Jahre des Grubenbetriebs repräsentierte. Die weiteren 22 Jahre bis zum Einlagerungsstopp in 2012 wurden unterschlagen. Man geht daher kaum fehl, wenn man annimmt, dass in dieser Zeit mindestens nochmal 250 Tonnen Quecksilber hinzu gekommen sind.

l  Der GICON-Endbericht (2015) kommt (S. 24) zu dem Ergebnis:

Die technisch aufwendigste, dafür nachsorgefreie und den höchsten Anforderungen entsprechende Maßnahme ist eine Dekontamination off-site durch Beseitigung des gesamten Abfallkörpers.“

Bei der Präsentation des Endberichtes für Behördenvertreter am 09.07.2015 in Magdeburg wurde dies verschwiegen. Ebenso wurde verschwiegen, dass die Abdecklösung mit kostenaufwändigem Nachsorge- und Reparaturbedarf verbunden ist.


l  Die Vorgänge um den durch eine neue (in deutsches Recht umgesetzte) EU-Richtlinie veranlassten Einlagerungsstop zum 30. April 2012 sind undurchsichtig. Es heißt: Gaz de France habe ein Sickerwassergutachten nicht vorgelegt und damit den Einlagerungsstop dieser (äußerst preisgünstigen) Entsorgungsmöglichkeit in Kauf genommen. - Warum bestand das LAGB nicht auf Vorlage des von der Richtlinie vorgeschriebenen Sickerwassergutachtens – zumal dieses nötig war, um zu entscheiden, ob eine Grundwasserreinigung erforderlich ist?

l  Am 07.12.2017 verlangten Landtagsabgeordnete im  Wirtschaftsausschusses des Landtages Einblick in die Verträge, die den Übergang der altmärkischen Gasförderung von der EEG an Gaz de France regelten und mit Rückbauverpflichtungen von Entsorgungseinrichtungen verbunden waren. Der Einblick wurde ihnen verweigert, da die Verträge „geheim“ seien.

l  Ebenfalls erhielten die Abgeordneten entgegen ihrem Verlangen keinen Einblick in den vom LAGB genehmigten Sonderbetriebsplan, sondern wurden mit einer oft schwer leserlichen einmaligen Powerpoint-Präsentation abgespeist.

l  Die Stadt Kalbe hat vom Inhalt des genehmigten Sonderbetriebsplans keinerlei Kenntnis erhalten.



5.) Dass Herr Stoffregen weitere 2 Jahre „Untersuchungen“ mit dem Spruch „Sorgfalt vor Schnelligkeit“ rechtfertigt, ist ein Hohn! -  Wo hatte der Betrieb der Grube Brüchau jemals etwas mit „Sorgfalt“ zu tun? Wie konnte es zu „Kenntnisdefiziten“ bezüglich der eingelagerten Stoffe kommen? Wer war dafür verantwortlich, dass diese nicht korrekt dokumentiert wurden? -  Dies ernst zu nehmen, wäre Aufgabe des Wirtschaftsministerium – und ebenso auch des Umweltministeriums, das über die ihm unterstellte Landesanstalt für Altlastenfreistellung (LAF) einen wesentlichen Einfluss auf die Vorgänge hat.

Dass die Grube undicht ist, ist längst zweifelsfrei erwiesen (siehe oben die Auszüge aus Gutachten und Stellungnahmen). Der Altmarkkreis Salzwedel als untere Wasser- und Bodenschutzbehörde hat aufgrund dessen seit Jahrzehnten einen permanenten und unermüdlichen Kampf für die Schließung der Grube Brüchau geführt, wurde von LAGB und LAF aber regelmäßig abserviert. Noch im Januar 2012 vertraten letztere die Auffassung, dass von der Grube „derzeit keinerlei Gefahr“ ausgehe und befürworteten den Weiterbetrieb.

Wenn zum jetzigen Zeitpunkt nicht die Entscheidung für die komplette Beräumung der Grube getroffen wird, sondern so getan wird, als sei die Grube doch dicht und langwierige Untersuchungen angekündigt werden, so zeigt dies bloß den heftigen Wunsch von Behörden und Unternehmen, die Aufdeckung und Beräumung der giftigen Ablagerungen unter allen Umständen zu vermeiden. Wer sich mit dem ganzen Komplex intensiv beschäftigt, kann sich irgendwann der Frage nicht erwehren, ob es wirklich nur um Kostenersparnis geht, sondern auch noch andere Interessen im Hintergrund stehen. 
Die „Untersuchungen“ werden natürlich absolut intransparent und für die Öffentlichkeit unkontrollierbar sein. Angesichts aller bisherigen Erfahrungen in puncto Quecksilbersee Brüchau muss man erwarten, dass diese „Untersuchungen“ nicht etwa dem Aufdecken, sondern dem Zudecken dienen sollen.

Wir appellieren an das Gewissen von Politikern und Behördenvertretern, und gehen gleichzeitig auch davon aus, dass sich die Bevölkerung zunehmend organisieren und aktivieren wird.

    Bürgerinitiative
        Saubere
Umwelt & Energie
         Altmark
 i.A. Dr. Christfried Lenz



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