Unter der Überschrift „Kalbes Geduld in Sachen
Giftmüllgrube ist am Ende“ berichtet
heute die Volksstimme in ihrer Zentralausgabe über den Offenen Brief des
Stadtrates von Kalbe an Wirtschaftsminister Willingmann mit dem Betreff „Bohrschlammdeponie
Brüchau (Altmark)“, https://www.volksstimme.de/sachsen-anhalt/bohrschlammdeponie-kalbe-am-ende-der-geduld
Wir nehmen das zum Anlass für einige Klarstellungen:
1.) Bei der
Grube in Brüchau handelt es sich nicht um eine „Deponie“, sondern um eine
„Anlage zur Ablagerung bergbaulicher Abfälle im Sinne von § 22a der Allgemeinen
Bundesbergverordnung“, wie die Landesregierung in der Vorbemerkung ihrer
Antwort auf die KA von MdL Frederking (Drucksache 6/4392 17.09.2015) selber
klarstellt. Da die giftigen Abfälle nicht nur aus der Erdgasförderung Bergbau,
sondern auch aus der Industrie stammen, bezeichnen Begriffe wie
„Giftschlammgrube“ oder „Giftmüllgrube“ den Sachverhalt zutreffend. Der
Begriff „Deponie“ stellt eine unangebrachte Aufwertung dar.
2.) Die Aussage
des Sprechers des Wirtschaftsministeriums Matthias Stoffregen „Nach allen
vorliegenden Untersuchungen gehe von der Deponie keine Gefahr für die
Bevölkerung oder Umwelt aus“ ist falsch. Einige (wenige) Beispiele aus den
Untersuchungen:
l
Staatliches Amt für Umweltschutz, Magdeburg,
13.09.2000:
„Das Grundwasser in Deponie nahen
Bohrungen (besonders stark T2, T5) ist in seiner chemischen Beschaffenheit
durch die Deponie beeinflusst.“
l
Im Jahr 2000 wurde in einem Brüchauer
Hausbrunnen ein Wert des gefährlichen
(krebserregenden)
Radium-226 gemessen, der den vom Bundesamt für Strahlenschutz 2009
ermittelten Hintergrundwert für Grundwässer
von Trinkwasserversorgern im Altmarkkreises
Salzwedel um das 7fache übersteigt. (Radium-228 übersteigt ihn um das
12fache). Der von der EEG – Erdgas Erdöl GmbH (Rechtsnachfolger ENGIE E&P Deutschland)
beauftragte Gutachter schrieb zu den Sickerwasserausträgen: „In diese Deponie wurden auch
radiumhaltige Schlämme (Scalerückstände) eingelagert“. Weiter schreibt der
Gutachter: „Die festgestellte Kontamination des Grundwassers wurde bisher auf
den Austrag von gelöstem Radium aus der Deponie Brüchau zurückgeführt. Diese Herkunft
des Radiums ist nahe liegend, … da die festgestellten Kontaminationen sehr klar
an Sickerwasserausträge der Deponie gebunden sind“. Bewertung dieser Gutachten
durch Dipl.-Ing. (FH) Bernd Ebeling: „Der Wirkungspfad Boden (gemeint ist die
Giftschlammgrube Brüchau) – Grundwasser ist aktiv. Giftige Sickerwässer aus der
Giftschlammgrube durchdringen die angeblich abdichtende Mergelschicht und
gelangen in das Grundwasser. Das belastete Grundwasser strömt u. a. in Richtung
der Hausbrunnen in Brüchau, welche sich in Nutzung befinden.“
l
EEG Erdgas
Erdöl GmbH
Aufgabenstellung für
weiterführende Untersuchungen zur Aktualisierung der Gefährdungsabschätzung der
Obertagedeponie Brüchau (26.06.2001)
„Seit 1998 werden zusätzlich
radiologische Untersuchungen durchgeführt. Im Zuge dieser
Kontrolluntersuchungen sind permanente Beeinflussungen der
Grundwasserbeschaffenheit im unmittelbaren Abflussbereich der Deponie
nachgewiesen worden.“
l Altmarkkreis
Salzwedel (AMK) an Landesamt für Geologie und Bergwesen (LAGB) 12.02.2003
Stellungnahme zum
Jahresbericht 2001
Auswertung der
Kontrollergebnisse Obertagedeponie Brüchau, auch im Hinblick auf den zu
erstellenden Sonderbetriebsplan
„In allen drei deponienahen Abstrommessstellen T1, T2
und T5 ist im unteren Grundwasserstockwerk die Trinkwasserrichtdosis von 0,1
mSv/a überschritten. In der Messstelle T5 übersteigt die gemessene Dosis den
Prüfwert von 0,5 mSv/a für die Gruppe der Säuglinge. Damit ist eine Exposition
des Grundwassers am Standort hinreichend nachgewiesen.“
l EEG
– Erdgas Erdöl GmbH Aktualisierung der Gefährdungsabschätzung der
Obertagedeponioe Brüchau – Abschlussbericht vom 17.03.2006 (fugro):
„Durch Versickerung von
Überstandswasser und Sickerwasser durch das eingelagerte Inputmaterial und den
unterlagernden Mergel findet ein Austrag aus der Deponie in die unterlagernden
Sedimente und den bei ca. 18,5 m u. GOK anstehenden Grundwasserleiter statt. Der
Wirkungspfad Boden – Grundwasser ist bei der Deponie Brüchau aktiv.“
l
Altmarkkreis Salzwedel an LAGB 26.03.2009
Stellungnahme zur
Aktualisierung der Gefährdungsabschätzung Phase III
Deponie Brüchau
„Der Gutachter kommt im Abschlussbericht Phase III zu
dem Schluss, dass ein Weiterbetrieb der OTD Brüchau ohne Gefahr für die Umwelt
möglich ist, da
-
von der OTD derzeit keine Gefahr für das Grundwasser ausgeht
-
der Wirkungspfad Boden-Grundwasser nicht aktiv ist und
-
Grundwassernutzungen im Umfeld nicht gefährdet sind und
-
weitere Untersuchungen und Maßnahmen zur Grundwasser-Beweissicherung und –
Sanierung nicht erforderlich sind.
Dem
Tenor des Gutachters wird seitens des Altmarkkreises Salzwedel als untere
Wasser- und Bodenschutzbehörde nicht gefolgt, da eine Gefährdung für das
Grundwasser durch den Betrieb der Deponie bereits gegeben ist.
Eindeutig
sind am Standort Belastungen des Grundwassers mit bergbauspezifischen
Parametern (Cl, Li, Str, Ba) belegt, die auf eine deponiebürtige Belastung
hinweisen, da sie mit dem Input der OTD korrelieren.“
l
LAGB-Präsident Schnieber im
MDR-Fernseh-Beitrag von Heidi Mühlenberg (2016):
„Wir haben hier eine Entsorgungseinrichtung, wo
Schadstoffe ins Grundwasser eintreten. Die andere Geschichte ist, wie wir diese
punktuellen Überschreitungen bewerten: Wäre jetzt hier ein Brunnen, der genutzt
würde als Trinkwasserbrunnen oder auch nur als Brauchwasserbrunnen, dann würden
wir die Sache anders einschätzen als wenn hier eben keiner ist.“
3.) Herr Stoffregen/Wirtschaftsministerium gibt nicht
einmal die Ausdrucksweise der (meist in sich widersprüchlichen) Gutachten korrekt wieder. Diese lautet
nämlich, dass „derzeit“ keine Gefahren ausgehen würden. - Hieraus
ergeben sich die Fragen:
l Wie lang ist „derzeit“?
l Woran merkt man, wann „derzeit“ vorbei ist?
l
Merkt man es
daran, dass das Grundwasser
irreversibel kontaminiert ist, zur Beregnung der Äcker nicht mehr verwendet
werden darf und die Landwirte ihren Betrieb einstellen müssen?
4.) Die Falschaussage von Herrn Stoffregen steht
allerdings nicht allein. Weitere Täuschungsversuche, Faktenbeugungen und
Intransparenzen sind kennzeichnend für die Vorgänge im Kontext der Grube
Brüchau:
l Auf die Frage von MdL Frederking (2015) nach dem
Inhalt der Grube antwortete die Landesregierung mit einer Liste von Stoffen,
hierunter 250 Tonnen metallisches Quecksilber. Bei ihrer Akteneinsicht fand die
Bürgerinitiative heraus, dass diese Liste nicht aktuell war, sondern aus dem
Jahr 1990 stammte und somit nur die ersten 18 Jahre des Grubenbetriebs
repräsentierte. Die weiteren 22 Jahre bis zum Einlagerungsstopp in 2012 wurden
unterschlagen. Man geht daher kaum fehl, wenn man annimmt, dass in dieser Zeit
mindestens nochmal 250 Tonnen Quecksilber hinzu gekommen sind.
l Der GICON-Endbericht (2015) kommt (S. 24) zu dem
Ergebnis:
„Die technisch aufwendigste,
dafür nachsorgefreie und den höchsten Anforderungen entsprechende Maßnahme ist
eine Dekontamination off-site durch Beseitigung des gesamten
Abfallkörpers.“
Bei der Präsentation des Endberichtes für
Behördenvertreter am 09.07.2015 in Magdeburg wurde dies verschwiegen. Ebenso
wurde verschwiegen, dass die Abdecklösung mit kostenaufwändigem Nachsorge- und
Reparaturbedarf verbunden ist.
l Die Vorgänge um den durch
eine neue (in deutsches Recht umgesetzte) EU-Richtlinie veranlassten
Einlagerungsstop zum 30. April 2012 sind undurchsichtig. Es heißt: Gaz de
France habe ein Sickerwassergutachten nicht vorgelegt und damit den
Einlagerungsstop dieser (äußerst preisgünstigen) Entsorgungsmöglichkeit in Kauf
genommen. - Warum bestand das LAGB nicht auf Vorlage des von der Richtlinie
vorgeschriebenen Sickerwassergutachtens – zumal dieses nötig war, um zu
entscheiden, ob eine Grundwasserreinigung erforderlich ist?
l Am 07.12.2017 verlangten
Landtagsabgeordnete im
Wirtschaftsausschusses des Landtages Einblick in die Verträge, die den
Übergang der altmärkischen Gasförderung von der EEG an Gaz de France regelten
und mit Rückbauverpflichtungen von Entsorgungseinrichtungen verbunden waren. Der
Einblick wurde ihnen verweigert, da die Verträge „geheim“ seien.
l Ebenfalls erhielten die
Abgeordneten entgegen ihrem Verlangen keinen Einblick in den vom LAGB
genehmigten Sonderbetriebsplan, sondern wurden mit einer oft schwer
leserlichen einmaligen Powerpoint-Präsentation abgespeist.
l
Die Stadt
Kalbe hat vom Inhalt des genehmigten Sonderbetriebsplans keinerlei Kenntnis
erhalten.
5.) Dass Herr Stoffregen weitere 2 Jahre „Untersuchungen“
mit dem Spruch „Sorgfalt vor Schnelligkeit“ rechtfertigt, ist ein Hohn!
- Wo hatte der Betrieb der Grube Brüchau
jemals etwas mit „Sorgfalt“ zu tun? Wie konnte es zu „Kenntnisdefiziten“
bezüglich der eingelagerten Stoffe kommen? Wer war dafür verantwortlich, dass
diese nicht korrekt dokumentiert wurden? -
Dies ernst zu nehmen, wäre Aufgabe des Wirtschaftsministerium – und
ebenso auch des Umweltministeriums, das über die ihm unterstellte Landesanstalt
für Altlastenfreistellung (LAF) einen wesentlichen Einfluss auf die Vorgänge
hat.
Dass die Grube undicht ist,
ist längst zweifelsfrei erwiesen (siehe oben die Auszüge aus Gutachten und
Stellungnahmen). Der Altmarkkreis Salzwedel als untere Wasser- und
Bodenschutzbehörde hat aufgrund dessen seit Jahrzehnten einen permanenten und
unermüdlichen Kampf für die Schließung der Grube Brüchau geführt, wurde von
LAGB und LAF aber regelmäßig abserviert. Noch im Januar 2012 vertraten
letztere die Auffassung, dass von der Grube „derzeit keinerlei Gefahr“ ausgehe
und befürworteten den Weiterbetrieb.
Wenn zum jetzigen Zeitpunkt
nicht die Entscheidung für die komplette Beräumung der Grube getroffen wird,
sondern so getan wird, als sei die Grube doch dicht und langwierige
Untersuchungen angekündigt werden, so zeigt dies bloß den heftigen Wunsch
von Behörden und Unternehmen, die Aufdeckung und Beräumung der giftigen
Ablagerungen unter allen Umständen zu vermeiden. Wer sich mit dem ganzen
Komplex intensiv beschäftigt, kann sich irgendwann der Frage nicht erwehren, ob
es wirklich nur um Kostenersparnis geht, sondern auch noch andere Interessen im
Hintergrund stehen.
Die „Untersuchungen“ werden
natürlich absolut intransparent und für die Öffentlichkeit unkontrollierbar
sein. Angesichts aller bisherigen Erfahrungen in puncto Quecksilbersee
Brüchau muss man erwarten, dass diese „Untersuchungen“ nicht etwa dem
Aufdecken, sondern dem Zudecken dienen sollen.
Wir appellieren an das
Gewissen von Politikern und Behördenvertretern, und gehen gleichzeitig auch
davon aus, dass sich die Bevölkerung zunehmend organisieren und aktivieren
wird.
Bürgerinitiative
Saubere
Umwelt & Energie
Altmark
i.A. Dr. Christfried Lenz

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