28. August 2013

AMNESTY: UNSERE FORDERUNGEN ZUR BUNDESTAGSWAHL







Neugewählter Bundestag muss glaubwürdige und konsequente Menschenrechtspolitik kritisch begleiten und konstruktiv unterstützen
 
Berlin, 28.08.2013 - Knapp vier Wochen vor der Bundestagswahl hat Amnesty einen Forderungskatalog vorgelegt, der sich an die neue Bundesregierung und die Mitglieder des neuen Bundestages richtet.

Die Forderungen umfassen unter anderem die Ratifizierung internationaler Menschenrechtsverträge – so z.B. des Waffenhandelsvertrages und der Europaratskonvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt an Frauen und Mädchen und häuslicher Gewalt (CAHVIO). Amnesty benennt konkrete Maßnahmen, mit denen sich die Bundesregierung weltweit und insbesondere in Europa für den Flüchtlingsschutz einsetzen und Folter und Diskriminierung wirksam verhindern kann.
Für Deutschland fordert Amnesty u.a., für Asylsuchende eine menschenwürdige Existenz zu sichern und das Asylbewerberleistungsgesetz abzuschaffen, sowie umfassende und unabhängige Untersuchungen von Fällen mutmaßlicher rechtswidriger Polizeigewalt zu gewährleisten. Außerdem muss das so genannte Flughafenverfahren abgeschafft werden. 
Für eine glaubwürdige und konsequente Menschenrechtspolitik ist die gesamte Bundesregierung verantwortlich. Die Mitglieder des Deutschen Bundestages müssen diese auch in der neuen Legislaturperiode kritisch begleiten und konstruktiv unterstützen.








BUNDESTAGSWAHL 2013
FORDERUNGEN VON AMNESTY INTERNATIONAL

Die weltweite Durchsetzung der Menschenrechte und deren umfassende Gewährleistung in Deutschland
müssen eine zentrale Aufgabe des politischen Handelns sein. Für eine glaubwürdige, kohärente und
konsequente Menschenrechtspolitik ist die gesamte Bundesregierung verantwortlich. Die Mitglieder des
Deutschen Bundestages müssen diese kritisch begleiten und konstruktiv unterstützen. Es bedarf eines
regelmäßigen Konsultationsprozesses mit der Zivilgesellschaft über die bestmögliche Verwirklichung
der Menschenrechte und einer transparenten Rechenschaftslegung.
Für Amnesty International ist die Umsetzung der nachfolgenden Forderungen in der kommenden Legislaturperiode
von besonderer Bedeutung.


KEINE RÜSTUNGSEXPORTE FÜR MENSCHENRECHTSVERLETZUNGEN
· Die Bundesregierung muss den am 2. April von der Generalversammlung der Vereinten Nationen
angenommenen internationalen Waffenhandelsvertrag („Arms Trade Treaty“) umgehend zeichnen
und ratifizieren sowie den Vertrag zügig und wirksam umsetzen.
· Die Bundesregierung muss darauf hinwirken, dass eine Menschenrechtsklausel für alle Rüstungstransfers
gesetzlich ausdrücklich verankert wird, damit Rüstungstransfers untersagt werden, die in
den Empfängerländern zu schweren Menschenrechtsverletzungen oder zum Bruch humanitären
Völkerrechts beitragen können. Dem Parlament muss bei Rüstungsexportentscheidungen eine zeitnahe
Kontrollmöglichkeit eingeräumt werden. Die Berichterstattung zu Rüstungstransfers muss
umgehend nach Ablauf des Berichtsjahrs erfolgen und statt pauschaler Verweise auf Positionen der
Ausfuhrliste für jede Genehmigung detaillierte Informationen enthalten. Zudem müssen alle tatsächlichen
Exporte dargestellt werden, nicht nur die von Kriegswaffen. Bei allen Genehmigungen
muss dargestellt werden, wie die Menschenrechte bei der Entscheidung berücksichtigt wurden.


FLÜCHTLINGE SCHÜTZEN
· Deutschland muss sich für den Zugang zu fairen Asylverfahren in allen EU-Mitgliedstaaten einsetzen.
Rücküberstellungen von Asylsuchenden dürfen solange nicht durchgeführt werden, wie kein
Zugang zu einem fairen Asylverfahren – wie derzeit in Griechenland - besteht.
· Die Aufnahme von Flüchtlingen darf nicht auf Staaten außerhalb der EU verlagert werden, insbesondere
nicht auf Länder, deren Flüchtlingsschutz völlig ungenügend ist.
· Die Bundesregierung wird aufgefordert, das Ende 2011 eingerichtete Resettlement-Programm für
Flüchtlinge in Deutschland zu verlängern und zugleich das Kontingent zu erhöhen. Dringend bedarf
es einer Gesetzesänderung, damit neuangesiedelte Flüchtlinge rechtlich mit den hier anerkannten
Flüchtlingen gleichgestellt sind. Nur so können Schwierigkeiten insbesondere bei der Familienzusammenführung
vermieden werden.
· Für den umfassenden Schutz von Flüchtlingen muss die neue Bundesregierung wirksamen Eilrechtsschutz
gegen Abschiebungen in andere EU-Mitgliedsstaaten gewähren. Das sogenannte
„Flughafenverfahren“ ist abzuschaffen, da die Betroffenen (auch Minderjährige) faktisch inhaftiert
und Rechtsmittelfristen unangemessen verkürzt werden. Abschiebungshaft darf immer nur als letztes
Mittel angeordnet werden.


RECHTSSTAATLICHKEIT UND VERBOT VON FOLTER – OHNE AUSNAHME
· Die deutschen Behörden müssen ihren Verpflichtungen aus den international kodifizierten Menschenrechten
nachkommen und in Fällen vermuteter unverhältnismäßiger Polizeigewalt umgehende,
umfassende, unabhängige und unparteiische Ermittlungen gewährleisten. Hier muss das
bestehende System verbessert werden, etwa durch die Einrichtung unabhängiger Polizeibeschwerdemechanismen.
Alle Beamten der Bundespolizei müssen durch eine sichtbare Kennzeichnung auf
ihrer Uniform identifiziert werden können. Bei Aus- und Fortbildung von Polizeibeamten muss besonderer
Wert auf Menschenrechtsbildung gelegt werden.
· Die Bundesregierung ist aufgefordert, keine Sicherheitsabkommen oder Geheimdienstkooperationen
mit Staaten zu vereinbaren, deren Sicherheitsbehörden regelmäßig gegen Menschenrechte verstoßen.
Unter keinen Umständen dürfen deutsche Behörden im Rahmen derartiger Abkommen Informationen
über bestimmte Personen an andere Staaten weitergeben, wenn den Betroffenen dort
Folter oder grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung droht.
· Die Bundesregierung muss dafür Sorge tragen, dass im Kontext von Bundeswehreinsätzen im Ausland
das humanitäre Völkerrecht eingehalten wird und die Menschenrechte aller Beteiligten gewahrt
werden. Die Bundesregierung muss die Anwendbarkeit des Internationalen Paktes über bürgerliche
und politische Rechte und der Europäischen Menschenrechtskonvention auch bei Einsätzen
der Bundeswehr im Ausland förmlich anerkennen. Die Bundesregierung muss für eine angemessene
menschenrechtliche Schulung der im Ausland eingesetzten deutschen Sicherheitskräfte
sorgen. Wirkt die Bundeswehr an Gefangennahmen mit, so muss sie sicherstellen, dass die Gefangenen
nicht an Personen oder Behörden übergeben werden, die im Verdacht stehen zu foltern.


FRAUEN, FRIEDEN, SICHERHEIT
· Im Dezember 2012 wurde der Nationale Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Resolution 1325
(„Frauen, Frieden, Sicherheit“) verabschiedet. Dieser muss nunmehr von der Bundesregierung in
Konsultation mit der Zivilgesellschaft in einem transparenten Prozess implementiert werden. Dafür
bedarf es strenger Umsetzungsrichtlinien mit klaren ressortübergreifenden Verantwortungsstrukturen
und einem angemessenen Budget. Die erfolgten Maßnahmen sind regelmäßig auf ihre Wirksamkeit
zu überprüfen.
· Deutschland gehört zu den Erstunterzeichnern der im Mai 2011 in Istanbul verabschiedeten Europaratskonvention
zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt an Frauen und Mädchen und häuslicher
Gewalt (CAHVIO - auch Istanbul Konvention genannt), hat aber einen Vorbehalt zum Aufenthaltsrecht
für Opfer von Gewalt eingereicht. Die Bundesregierung ist aufgefordert CAHVIO umgehend
zu ratifizieren, in nationales Recht umzusetzen und den Vorbehalt zurückzunehmen.


DISKRIMINIERUNG BEENDEN
· Roma werden in zahlreichen europäischen Ländern in vielen Lebensbereichen diskriminiert. Die
Bundesregierung hielt sich in der Vergangenheit jedoch mit Kritik an diesen Menschenrechtsverletzungen
zurück, insbesondere wenn es um Diskriminierung in EU-Staaten ging. Wir fordern die
Bundesregierung daher auf, endlich ihren Einfluss zu nutzen und sowohl bilateral als auch im
Rahmen der EU für das Ende der Diskriminierung von Roma in allen europäischen Ländern einzutreten.
· Das Bundesverfassungsgericht hat in den letzten Jahren in mehreren Entscheidungen Verletzungen
der Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intersexuellen wegen ihrer sexuellen
Orientierung und/oder ihrer sexuellen Identität festgestellt. Die Bundesregierung und der Bundestag
werden aufgefordert, das Transsexuellengesetz unter Beachtung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
zu reformieren, so dass das sexuelle Selbstbestimmungsrecht, das Recht
auf körperliche Unversehrtheit und das Diskriminierungsverbot gewährleistet werden. Ferner muss ein schnelles transparentes Verfahren für trans- und intersexuelle Menschen, die ihr Geschlecht
rechtlich anerkannt ändern lassen möchten, ohne medizinische Anforderungen ermöglicht werden.
· Im Oktober 2012 hat das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz die polizeiliche Praxis des „racial
profiling“ für rechtswidrig erklärt. Das gerichtlich bestätigte Verbot muss von der Bundespolizei
umgesetzt werden. Rassistische Straftaten müssen lückenlos erfasst werden. Das stellt die Erfassung
der Lagedarstellung PMK-R (Politisch Motivierte Kriminalität-Rechts) augenblicklich nicht sicher.


KEINE STRAFLOSIGKEIT VON MENSCHENRECHTSVERLETZUNGEN
· Die Bundesregierung muss sich weiterhin uneingeschränkt für den Internationalen Strafgerichtshof
(IStGH) einsetzen. Bei der Überprüfungskonferenz muss sie für ein Budget eintreten, dass die
Funktionsfähigkeit des Gerichtshofs garantiert. Sie muss den Opferschutzfond weiterhin finanziell
unterstützen. Die Bundesregierung muss aktiv für den Beitritt weiterer Staaten zum Rom-Statut
werben und von den Vertragsstaaten die uneingeschränkte Kooperation mit dem Internationalen
Strafgerichtshof fordern. Sie muss bei jeder Gelegenheit dafür eintreten, dass Haftbefehle des Gerichtshofs
umgesetzt und Angeklagte an den IStGH ausgeliefert werden.
· Die Bundesregierung muss die Unterstützung von Reformen im nationalen Justiz- und Sicherheitssektor
der Partnerländer finanziell und technisch unterstützen. Da der IStGH erst dann für die
Verfolgung von schweren Menschenrechtsverbrechen zuständig ist, wenn diese nicht auf nationaler
Ebene verfolgt werden, muss in jedem Land gewährleistet werden, dass Menschenrechtsverletzungen
nicht straflos bleiben, sondern in einem rechtsstaatlichen Verfahren geahndet werden.
· Die Bundesregierung muss Ermittlungen der Generalbundesanwaltschaft aufgrund des Weltrechtsprinzips
unterstützen. Nach den ersten Erfahrungen mit der Anwendung des Völkerstrafgesetzbuches
(VStGB) vor dem OLG Stuttgart sollte die Bundesregierung überprüfen, ob die deutsche Strafprozessordnung
den Anforderungen eines Prozesses nach dem VStGB genügt.


MENSCHENRECHTE SIND UNTEILBAR
· Die Bundesregierung muss sich weltweit dafür einsetzen, dass wirtschaftliche, soziale und kulturelle
Rechte rechtlich durchsetzbar sind. Die Bundesregierung muss das Zusatzprotokoll zum UNSozialpakt
umgehend ratifizieren. Die Bundesregierung muss die revidierte Europäische Sozialcharta
ratifizieren.
· Die Bundesregierung muss das menschenwürdige Existenzminimum von Leistungsberechtigten
gemäß § 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) sichern. Weiterhin muss die Bundesregierung
gewährleisten, dass diese Personengruppen gegenüber anderen Leistungsberechtigten nicht diskriminiert
werden. Zur Umsetzung dieser Verpflichtung sollte die Bundesregierung darauf hinwirken,
das AsylbLG abzuschaffen und die Leistungsberechtigten in das Sozialgesetzbuch einzugliedern.
· Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat 2011 ein Menschenrechtskonzept
eingeführt, das die Menschenrechte zum verbindlichen Leitprinzip deutscher
Entwicklungspolitik erhebt. Dieses Konzept muss konsequent in der Entwicklungszusammenarbeit
implementiert werden. Insbesondere bedarf es einer wirksamen menschenrechtlichen Folgenabschätzung
für jedes einzelne Projekt. Der im Menschenrechtskonzept vorgesehene Beschwerdemechanismus
für Betroffene deutscher Entwicklungsprojekte muss zügig eingerichtet werden.
· Die Bundesregierung muss gewährleisten, dass Projekte mit deutscher Beteiligung (z.B. Entwicklungsprojekte,
Rohstoffprojekte, Infrastrukturprojekte) nicht zu rechtswidrigen Zwangsräumungen
führen. Das heißt sie muss die Beteiligung betroffener Bevölkerungsgruppen am Planungsprozess,
transparente Information der Betroffenen und das Angebot von Entschädigungen und/oder Alternativunterkünften
sicherstellen, wenn eine Zwangsräumung unvermeidbar ist.


MENSCHENRECHTLICHE VERANTWORTUNG DER UNTERNEHMEN EINFORDERN
· Die Bundesregierung muss auf Basis der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und
anderer relevanter Menschenrechtsdokumente sowie unter aktiver Beteiligung der Zivilgesellschaft
einen deutschen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte entwickeln und umsetzen. Ziel des
Aktionsplans muss die Schließung nationaler und internationaler Regulierungslücken sein, die bisher
verhindern, dass Unternehmen für ihre Beteiligung an Menschenrechtsverletzungen effektiv zur
Verantwortung gezogen werden können und Opfer zu ihrem Recht kommen.
· Die Bundesregierung muss sicherstellen, dass die Menschenrechte bei der Vergabe von Instrumenten
der Außenwirtschaftsförderung geachtet werden. Dazu gehört insbesondere, dass durch geförderte
Projekte keine Menschenrechte verletzt werden. Die menschenrechtliche Risikoanalyse muss
verbindlicher Bestandteil der Entscheidung über staatliche Außenwirtschaftsförderung sein. Personen,
die durch geförderte Projekte in ihren Menschenrechten beeinträchtigt werden, müssen eine
Beschwerdemöglichkeit erhalten.


MENSCHENRECHTSVERTEIDIGER VORBEHALTLOS UNTERSTÜTZEN
· Der Arbeit von Menschenrechtsverteidigerinnen und –verteidigern sowie Menschenrechtsorganisationen
durch politische und praktische Anerkennung Legitimität zu geben, ist eine der wichtigsten
Möglichkeiten, zum Menschenrechtsschutz für alle beizutragen. Das Auswärtige Amt und seine Vertretungen
vor Ort müssen deshalb die Leitlinien der EU zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern
systematisch umsetzen. Die deutschen Botschaften vor Ort brauchen dafür die notwendigen
Kenntnisse und Kapazitäten. Die lokalen Umsetzungsstrategien für die Leitlinien müssen transparent
und unter Einbeziehung der Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger vor Ort (weiter)
entwickelt werden. Konkreter Schutz ist nötig, wenn Menschenrechtsaktivistinnen und
-aktivisten schikaniert, angeklagt, bedroht, inhaftiert, misshandelt oder gefoltert werden. Zunehmenden
Einschränkungen von Handlungsspielräumen durch Gesetze muss mit allem Nachdruck
widersprochen und entgegengewirkt werden. In Fällen akuter Bedrohung muss die Bundesregierung
die vorübergehende Aufnahme von Menschenrechtsaktivistinnen und –aktivisten in Deutschland
ermöglichen.


MENSCHENRECHTE WELTWEIT VERTRETEN
· Die Bundesregierung muss im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen noch engagierter für die
Menschenrechte streiten und sich dafür einsetzen, dass gravierende Menschenrechtsverletzungen
in einzelnen Ländern verurteilt werden. Sie muss sich weiterhin für die Unabhängigkeit der Vertragsausschüsse
und deren Mitglieder einsetzen. Beides kann sie nur dann glaubwürdig tun, wenn
Deutschland seine eigenen internationalen Verpflichtungen erfüllt und Menschenrechtskonventionen
konsequent umsetzt.
· Die Bundesregierung muss innerhalb der EU dafür eintreten, dass die Verhandlungen mit EUBeitrittskandidaten
mit klaren menschenrechtlichen Forderungen verknüpft werden und deren Umsetzung
genau überprüft wird. Deutschland muss sich weiterhin für eine konsequente Anwendung
der Europäischen Menschenrechtskonvention und Umsetzung der Urteile des Europäischen Gerichtshofes
für Menschenrechte einsetzen. Die weitere Reform des Gerichtshofes darf seine Autorität
und Integrität nicht beschädigen und das Individualbeschwerderecht nicht einschränken.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Related Posts Plugin for WordPress, Blogger...