Gemeinsame Pressemitteilung von Deutscher
Adipositas Gesellschaft, Deutscher Diabetes Gesellschaft, diabetesDE -
Deutsche Diabetes Hilfe und foodwatch / Thema: Kinderernährung
281
Kinderlebensmittel im Test - foodwatch-Studie belegt:
Selbstbeschränkung der Lebensmittelindustrie bei Kindermarketing
wirkungslos - Medizinische Fachgesellschaften und
Gesundheitsorganisationen fordern gesetzliche Begrenzung
Berlin, 24. August 2015.
Die seit 2007 bestehende freiwillige Selbstbeschränkung der
Lebensmittelindustrie beim Kindermarketing ist wirkungslos: Die
Hersteller bewerben in Deutschland weiterhin fast ausschließlich
ungesunde Produkte gezielt an Kinder - obwohl sie sich im sogenannten
"EU Pledge" zu einem verantwortungsvollen Marketing verpflichtet haben.
Das belegt eine Studie von foodwatch, die die Verbraucherorganisation
heute gemeinsam mit der Deutschen Adipositas Gesellschaft, der Deutschen
Diabetes Gesellschaft und diabetesDE - Deutsche Diabetes-Hilfe in
Berlin vorgestellt hat. Für die Studie hat foodwatch alle an Kinder
vermarkteten Produkte derjenigen Hersteller unter die Lupe genommen, die
den "EU Pledge" unterzeichnet haben - mit eindeutigem Ergebnis: Trotz
der Selbstverpflichtung sind 90 Prozent von insgesamt 281 untersuchten
Produkten keine ausgewogenen Kinderlebensmittel nach den Anforderungen
der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Gerade einmal 29 Produkte im Test
dürften nach den Kriterien der WHO-Experten an Kinder vermarktet
werden.
Die medizinischen
Fachgesellschaften und Gesundheitsorganisationen und foodwatch forderten
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe sowie Bundesernährungsminister
Christian Schmidt auf, an Kinder gerichtetes Marketing nur noch für
Lebensmittel zu erlauben, die den WHO-Kriterien entsprechen. Rein
freiwillige Maßnahmen der Lebensmittelindustrie reichten nicht aus, wie
das Studienergebnis deutlich zeige.
"Mit
wohlklingenden Selbstverpflichtungen inszeniert sich die
Lebensmittelbranche als Vorreiter im Kampf gegen Übergewicht und
Fehlernährung - und vermarktet gleichzeitig tonnenweise Süßigkeiten und
Junkfood gezielt an Kinder. Ein trauriges PR-Manöver, das nur von der
eigenen Verantwortung ablenken soll. Die Lebensmittelwirtschaft ist
nicht Teil der Lösung, sondern Kern des Problems", sagte Oliver Huizinga, Experte für Kindermarketing bei foodwatch.
"Die
sogenannte Selbstverpflichtung der Lebensmittelindustrie für die
Kinderlebensmittelwerbung ist eine Mogelpackung und täuscht den
Verbraucher. Die meisten 'Kinderlebensmittel' sind keine Lebensmittel,
sondern schlichtweg Süßigkeiten. Marketing für 'Kinderlebensmittel' muss
per Gesetz eingedämmt werden, sonst werden wir die Welle der
Fehlernährung und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen nicht stoppen",
erklärte Dr. Dietrich Garlichs, Geschäftsführer der Deutschen Diabetes
Gesellschaft und Sprecher der Deutschen Allianz Nichtübertragbarer
Krankheiten (DANK).
Im
Rahmen einer Initiative der Europäischen Union haben zahlreiche
Lebensmittelunternehmen bereits 2007 in einer Selbstverpflichtung (dem
sogenannten "EU Pledge") zugesichert, Regeln für an Kinder gerichtetes
Marketing einzuhalten. So sollen beispielsweise nur noch Lebensmittel,
die bestimmte Nährwertanforderungen erfüllen, an Kinder unter zwölf
Jahren beworben werden. foodwatch wollte überprüfen, ob diese
Selbstverpflichtungserklärung dazu geführt hat, dass tatsächlich nur
noch ausgewogene Lebensmittel an Kinder vermarktet werden. Dazu wurde
das Marketing der EU Pledge-Unterzeichnerfirmen in Deutschland, unter
anderem Kellogg's, Ferrero, Danone, Nestlé und Coca-Cola,
untersucht: Die Nährstoffzusammensetzung aller Produkte, die sich in
Marketing oder Werbung direkt an Kinder richten, wurde mit den
Anforderungen der Weltgesundheitsorganisation an ernährungsphysiologisch
ausgewogene Lebensmittel abgeglichen. Ergebnis: Von insgesamt 281
Produkten im Test erfüllen nur 29 die WHO-Kriterien. 90 Prozent (252)
der Lebensmittel sollten nach Meinung der Gesundheitsexperten hingegen
nicht an Kinder vermarktet werden.
Das
deutliche Ergebnis zeigt, dass die freiwillige Selbstverpflichtung der
Lebensmittelindustrie auch acht Jahre nach Unterzeichnung nicht zu einem
verantwortungsvollen Lebensmittelmarketing für Kinder geführt hat.
foodwatch und die medizinischen Fachgesellschaften und
Patientenorganisationen kritisierten, dass der "EU Pledge" aus mehreren
Gründen wirkungslos ist:
1.
Die Nährwertgrenzen, wonach ein Produkt als ungesund gilt, sind zu
lasch. Die WHO erlaubt beispielsweise einen Zuckergehalt bei
Kinder-Frühstücksflocken von maximal 15 Prozent - im "EU Pledge" sind
bis zu 30 Prozent erlaubt. Auch fettig-salzige Chips sind gemäß der EU
Pledge-Nährwertkriterien für das Kindermarketing zugelassen.
2.
Zwar gibt es für klassische Werbung, beispielsweise im Fernsehen,
Einschränkungen. Wichtige Marketingkanäle wie die Gestaltung der
Verpackung (etwa mit Comic-Figuren oder Gewinnspielen) oder Aktionen
direkt im Supermarkt sind aber ausgenommen - hier ist Kindermarketing
für alle Produkte möglich.
3.
Längst nicht alle Unternehmen haben die Selbstverpflichtung
unterzeichnet. Zahlreiche Branchengrößen wie Dr. Oetker, Haribo,
Bahlsen, Ehrmann oder Hipp fehlen ebenso wie der
Lebensmitteleinzelhandel mit seinen Eigenmarken.
4. Die Altersgrenze ist mit 12 Jahren zu niedrig gewählt. Das Werbeverbot sollte für Kinder bis mindestens 16 Jahre gelten.
Das
WHO-Regionalbüro für Europa hatte Anfang 2015 konkrete Vorgaben
definiert, wonach nur noch ernährungsphysiologisch ausgewogene Produkte
an Kinder vermarktet werden sollten. Dabei spielen unter anderem die
Anteile von Fett, Zucker und Salz, aber auch der Kaloriengehalt oder
zugefügte Süßstoffe eine Rolle.
In
Deutschland sind 15 Prozent der Kinder übergewichtig, sechs Prozent
sogar adipös, also fettleibig - ihnen drohen Krankheiten wie Diabetes
Typ 2, Gelenkprobleme, Bluthochdruck und Herz-Kreislauferkrankungen. Im
Vergleich zu den 80er- und 90er-Jahren ist der Anteil übergewichtiger
Kinder um 50 Prozent gestiegen. Der wichtigste Grund für das
Übergewichtsproblem: Kinder ernähren sich falsch. Sie essen zu viele
Süßigkeiten, fettige Snacks und trinken zu viele zuckerhaltige Getränke;
Obst und Gemüse kommen dagegen zu kurz.
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